Historisches Friedrichsruh
Kalenderblätter
Die Otto-von-Bismarck-Stiftung hat für ihren Wandkalender 2021 in ihrem Archiv einige fotografische Schätze gehoben. Die Bilder, die zwischen 1850 und der Wende zum 20. Jahrhundert entstanden, zeigen ein Friedrichsruh, das schon lange vor der Ankunft Otto von Bismarcks zum Wirtschaftsstandort und Ausflugsziel geworden war.
Zwar erzählt eine Lithografie aus dem Jahr 1850 mit einer Ansicht des Hotels Frascati, das später umgebaut und zum Wohnsitz des ersten Reichskanzlers werden sollte, von vergnüglicher Zerstreuung im Grünen. Die Fotografien zweier Friedrichsruh-Projekte – im Auftrag des Hamburger Verlags Strumper & Co. im Jahr 1884 und der Wilhelm Hoffmann AG aus Dresden um 1900 – zeugen allerdings auch von sehr einfachen Wohnverhältnissen und einem arbeitsreichen Leben mitten im Sachsenwald.
Franz von Lenbach, Anton von Werner, Emil Hürten, Ascan Lutteroth – Werke namhafter Maler des 19. Jahrhunderts sind im Bismarck-Museum Friedrichsruh zu sehen. Zu ihnen zählt auch der Hamburger Künstler Valentin Ruths (1825 – 1905), der 1879 auf einem stimmungsvollen Gemälde „Friedrichsruh im Winter“ festhielt.
„Der Park ist ein Waldausschnitt, der durch gärtnerische Anlagen unter Ausnutzung des alten Fabrikteiches ein freundliches Aussehen gewonnen hat. Der Boden neigt sich zum Teich hinab und trägt vor der geräumigen offenen Terrasse an der Rückseite des Hauses einen großen Rasen. Die durch den Teich fließende Au bringt es im Park zu einem Miniaturwasserfall und hüpft in anmutigem Gefälle über Felder und Grand, zwischen Wiesen und Waldhängen zu Tal. Ihr ist es gleich, wer sich an ihrem Plätschern erfreut und ob ihre Kraft in handwerklichen Dienst gezwängt wird.“
Das Hirschgeweih am Giebel deutet an, wer im Jahr der Aufnahme dieser Fotografie das Haus bewohnte – ein Förster, genauer: der von Otto von Bismarck eingestellte Oberförster Peter Lange. Sein Domizil wurde allerdings ursprünglich gar nicht für einen naturverbundenen Menschen gebaut, sondern für einen Fabrikbesitzer.
Der Sachsenwald wurde seit Menschengedenken wirtschaftlich genutzt – zur Weide von Pferden und Kühen, bei der Eichenmast zur Fütterung von Schweinen, als Fleischlieferant sowie Quelle für Baumaterial und Brennstoff. Und auch nachdem im Mittelalter der Wald zum Forst einer Grundherrschaft wurde, fanden viele weiterhin ihr Auskommen – nicht nur die Bauern der Walddörfer, sondern auch Tagelöhner, Waldarbeiter und Köhler, die in bescheidenen Häusern lebten.
„Todfeinde“ sollten diejenigen sein, die ihm ein Museum bauten, wetterte Otto von Bismarck 1889. Er konnte nicht ahnen, dass der Neubau, den er ein Jahr zuvor in Friedrichsruh in Auftrag gegeben hatte, eines Tages genau das sein würde: sein Museum.
Nachdem der erste Reichskanzler 1871 Teile des Sachsenwaldes als Geschenk erhalten und sich für Friedrichsruh als Wohnort entschieden hatte, kaufte er die beiden örtlichen Erbzinsgüter: das westlich gelegene mit der alten Tuchfabrik, zu der sechs Gebäude gehörten (im Bereich des heutigen Schmetterlingsgartens), sowie das Gut Friedrichsruh samt dem Hotel-Restaurant „Frascati“ und zwei weiteren Wirtshäusern. Eines davon war das Landhaus, eine eher einfache Gaststätte, die direkt gegenüber dem etwas mondäneren „Frascati“ und dem dazugehörigen Pferdestall gelegen war.
Als sich der Hamburger Architekturfotograf und Verleger J.H. Strumper 1884 rund um den Wohnsitz des ersten Reichskanzlers auf Motivsuche für die Bildermappe „Friedrichsruh“ machte, dürfte er sofort auf das Turmhaus aufmerksam geworden sein: Weder glich es dem wuchtigen Herrenhaus Otto von Bismarcks noch dem rustikalen Brauhaus oder der Försterei, die sich baulich in ihre ländliche Umgebung eingefügt hatten. Die kleine Villa auf der anderen Seite des heute sogenannten Schlossteichs machte einen eher vornehmen Eindruck und wurde zudem von einem ungewöhnlichen kleinen Turm gekrönt.
Tausende kletterten aus den Zügen, wurden von Medaillenverkäufern und Leierkastenmännern belagert, die Kellner der Bahnhofsgaststätte boten Bier, Butterbrot und Grog an und schließlich wurden Wachsfackeln ausgeteilt – so schilderte es ein Hamburger Arzt aus eigener Anschauung. Dieser Trubel herrschte einige Jahre lang regelmäßig rund um den 1. April in Friedrichsruh: Bewunderer des ersten Reichskanzlers fuhren in den Sachsenwald, um ihn an seinem Geburtstag mit einem Fackelzug hochleben zu lassen. Zum 80. Geburtstag im Jahr 1895 reisten sogar Zehntausende an – der Bahnhof sollte nie wieder einen so großen Andrang erleben.
Der renommierte Hamburger Lithograph Wilhelm Heuer (1813 – 1890) schuf Mitte des 19. Jahrhunderts diese Ansicht eines sehr belebten und modernen Friedrichsruhs – von rechts fährt gerade die Eisenbahn ins Bild. Im Mittelpunkt steht das Hotel-Restaurant „Frascati“. Zu jenem Zeitpunkt wies es bereits eine bemerkenswerte Geschichte auf. Sie begann einige Jahre zuvor im nahegelegenen, heute zu Hamburg gehörenden Bergedorf.
Schlachtross, Ackergaul oder Transportmittel – über Jahrhunderte hatte sich das Pferd für den Menschen vor allem nützlich zu machen. Auch im Sachsenwald wurde es zur Arbeit eingesetzt. Aber es verhalf Erholungssuchenden auch zur Anreise nach Friedrichsruh. Dort lockten schon im 18. Jahrhundert ein Wirtshaus und ein Badehaus, um sich im Wasser der Schwarzen Au die Beine zu vertreten. Zum Hotel-Restaurant „Frascati“, das dort 1847 eröffnete, gehörte daher bald ein Stall, um Pferde und Kutschen der Gäste unterzubringen.
War er reich genug, um ein Fürst sein zu können? Otto von Bismarck erhielt am 21. März 1871 ein eigenhändiges Schreiben des preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm I., in dem dieser ihn in den Fürstenstand erhob. Aber seine Freude fiel nur verhalten aus, wurde doch von den Angehörigen eines Standes auch eine standesgemäße Lebensführung erwartet: „Das Gefühl, daß man als Graf wohlhabend sein kann, ohne unangenehm aufzufallen, als Fürst aber, wenn man letzteres vermeiden will, reich sein muß, hat mich seitdem nie wieder verlassen“, schrieb Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen. Seine Sorge wurde aber gemindert durch ein Geschenk, das er zusammen mit der Ernennung erhielt: den Sachsenwald mit 25.000 Morgen Wald und 2.000 Morgen Land, meist Wiesen.
Mühlen begründeten einst den Wirtschaftsstandort Friedrichsruh. Im Jahr 1598 wurde im westlichen Ortsteil eine Papiermühle gebaut, die nötige Energie lieferte die aufgestaute Schwarzen Au – noch heute befindet sich an der Stelle der Schlossteich. Die weitere Nutzung folgte den sich verändernden Aussichten auf Profit, den es zu erwirtschaften galt: Alle Mühlen der Gegend waren landesherrschaftliche Einrichtungen und jeweils verpachtet. 1758 wurde die Papiermühle aufgegeben, an ihre Stelle trat ein Eisenwerk, aus dem 1812 eine Tuchfabrik wurde. Um 1860 schließlich wurde dieser Standort aufgegeben.
Als Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1871 seinem Reichskanzler den Sachsenwald schenkte, wartete auf Otto von Bismarck und seine Familie damit noch kein neues Zuhause: Friedrichsruh war kein Bestandteil des Geschenks. Bismarck musste zunächst nach einem Domizil Ausschau halten und wurde schließlich fündig und handelseinig: Er kaufte das Hotel-Restaurant „Frascati“ und weitere Gebäude. Der kleine Ort lag für ihn perfekt mitten im Wald und zugleich mit einem eigenen Bahnhof ausgestattet direkt an der Bahnlinie Hamburg-Berlin.