Wie erinnern wir uns an das Kaiserreich – und vor allem: auf welcher Grundlage? Prof. Dr. Torsten Riotte (Goethe-Universität Frankfurt) diskutiert in seinem Vortrag die unterschiedlichen Ansätze in Fachwissenschaft und politischer Bildungsarbeit. Während beispielsweise in Museen die Wissensvermittlung im Vordergrund stehe, könne die geschichtswissenschaftliche Forschung keine Eindeutigkeit bieten. Sie strebe vielmehr nach neuen Fragen, Differenzierung und Debatte. Damit werde ein dynamisches Wissenskonzept verfolgt. Die Geschichtswissenschaft könne daher der interessierten Öffentlichkeit zwar die quellenbasierten Grundlagen der Diskussion über das Kaiserreich erklären, aber keine eindeutigen Antworten liefern. Allerdings sei zu überlegen, so Riotte, ob auch die Wissenschaft für sich einen Bildungsauftrag annehmen sollte.

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Eine Soiree bei Bismarck. Holzschnitt nach einer Zeichnung von C. Rechlin Sohn, in: Über Land und Meer. Allgemeine Illustrierte Zeitung Nr. 9, 1874

Verhandlung, Verständigung, Kompromiss – lassen sich diese drei Begriffe heranziehen, um die Regierungspraxis in den Jahren von 1871 bis 1890 zu beschreiben? Reichskanzler Otto von Bismarck bevorzugte zwar zweifellos „eine Monopolisierung der Entscheidungskompetenz in seiner Person“ (Wolfram Pyta). Aber die Autorin und die Autoren des Bandes „Entscheidungskulturen in der Bismarck-Ära“ zeigen auf Basis der soziologischen Entscheidungstheorie, dass der politische Alltag von deutlich mehr Akteuren mitbestimmt wurde. Der Band geht auf eine gleichnamige Tagung zurück, die im September 2022 unter der Leitung der Herausgeber Ulrich Lappenküper und Wolfram Pyta im Historischen Bahnhof Friedrichsruh stattfand.

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Alfred Grosser erhielt am 12. Oktober 1975 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und dankte in einer Rede. (Bundesarchiv, B 145 Bild-F046667-0008 / Fotograf: Ulrich Wienke / CC-BY-SA 3.0)

Wer sich wissenschaftlich mit den deutsch-französischen Beziehungen des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts befasst, kommt an Alfred Grosser nicht vorbei. Auch für den Verfasser dieser Zeilen war die Lektüre seiner Werke im Studium, bei der Vorbereitung auf das Rigorosum oder bei der Abfassung der Habilitationsschrift Pflichtprogramm1. Dabei wurde rasch klar, dass aus den Büchern nicht nur der Politologe, sondern auch der von den Brüchen des 20. Jahrhunderts geprägte „Weltveränderer“ und „Moralpädagoge“ sprach, als den er sich selbst sah.

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Die Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich und seinem größten Bundesstaat Preußen war um die Jahrhundertwende im europäischen Vergleich nicht auffällig ungleich. Diesen Befund stützt Prof. Dr. Marc Buggeln (Europa-Universität Flensburg) in seinem Vortrag auf die Auswertung von Steuerdaten und zeigt damit auf, welchen Einfluss die Steuergesetzgebung auf die Verringerung oder Vergrößerung der sozialen Ungleichheit nehmen kann.

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Großherzogliches Schloss zu Karlsruhe. Blick vom Schlossplatz auf den Ehrenhof und die Südfassade; Fotografie, Deutschland, um 1890, Abzug auf Papier, Pappe, Bismarck-Museum, Friedrichsruh, Inventar-Nr.: A 389.

Im Pfälzischen Erbfolgekrieg wurde 1689 Schloss Karlsburg, die Residenz der Markgrafen von Baden-Durlach, in Durlach zerstört. Da sich der Wiederaufbau verzögerte, beschloss Markgraf Karl III. Wilhelm 1715, in einiger Entfernung von Durlach einen dreiflügeligen Schlossneubau im Barockstil zu errichten, um den sich eine Stadt entwickelte („Carols Ruhe“). Das Zentrum der gesamten Anlage von Schloss, Schlosspark und Stadt dominiert bis heute ein achteckiger Turm, dem das Schlossgebäude vorgesetzt wurde. Mitte des 18. Jahrhunderts bereits baufällig, wurden das einst in Teilen aus Holz errichtete Schloss und der Lustgarten von Markgraf Karl Friedrich in einer über zwanzig Jahre dauernden Phase umgestaltet.

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Am Anfang und Ende des Kaiserreichs stand der Krieg. – Batterie No. 8 „Kronprinz“, Fotografie, Frankreich, 1870 (Leihgabe Stiftung Schloss Glücksburg für die Sonderausstellung „1870/71. Reichsgründung in Versailles“, 2021/2022)

Nur wenige Publikationen sind mit ihrem Erscheinen als ein Standardwerk zu erkennen, ohne das jede weitere Lektüre wissenschaftlicher Literatur zum Themenfeld unvollständig bliebe. „Weltmacht auf Abruf. Nation, Staat und Verfassung des Deutschen Kaiserreichs (1867 – 1918)“ ist eines dieser seltenen Werke. Herausgeber ist der Politik- und Rechtswissenschaftler Rüdiger Voigt, bis 2007 Professor für Verwaltungswissenschaft an der Universität der Bundeswehr München und Direktor des Instituts für Staatswissenschaften sowie Herausgeber der Reihen „Staatsverständnisse“ und „Staatsdiskurse“.

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Gruppenbild mit dem „Alten aus dem Sachsenwald“: CDU-Landtagsabgeordnete Andrea Tschacher, der Aumühler Bürgermeister Knuth Suhk und Uta Röpcke, Landtagsabgeordnete von Bündnis90/Die Grünen (v.l.)

Die gute Nachricht überbrachte Norbert Brackmann, Vorstandsvorsitzender unserer Stiftung, am vergangenen Freitag den knapp 90 Gästen gleich zu Beginn des Neujahrsempfangs im Historischen Bahnhof Friedrichsruh: Wir haben eine Machbarkeitsstudie für die Sanierung unserer drei Gebäude in Auftrag gegeben. Bis Juni soll geklärt werden, in welchem Umfang das Bismarck-Museum, der Historische Bahnhof und das Archivgebäude saniert werden müssen und welche Kosten dafür einzuplanen sind. Bezahlt wird diese Machbarkeitsstudie mit Fördergeldern des Bundes, der uns außerdem eine leichte Erhöhung unseres jährlichen Etats zugesagt hat. Auf der Grundlage der Machbarkeitsstudie werden dann die weiteren Mittel für die Sanierung beantragt.

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Ab 1885 wurden etwa 32.000 Polinnen und Polen, die die russische oder österreichische Staatsangehörigkeit besaßen, aus dem Königreich Preußen ausgewiesen. Etwa 10.000 von ihnen waren Jüdinnen und Juden. Rugi pruskie, Gemälde von Wojciech Kossak (Sammlung des © Bezirksmuseums Toruń)

Vertreibungen, erzwungene Umsiedlungen, gar Deportationen haben seit der Antike unsägliches Leid über Millionen von Menschen gebracht. Und dennoch scheinen gewisse Staaten bis auf den heutigen Tag nicht bereit, sie aus dem Arsenal ihrer politischen Mittel zu verbannen – siehe Aserbeidschan, China oder Myanmar. Durch investigativen Journalismus wurde jüngst bekannt, dass auch in Deutschland der menschenverachtende Gedanke der Vertreibung missliebiger Bevölkerungsgruppen wieder virulent ist. Wie der Presseberichterstattung entnommen werden kann, scheint die Idee auch in einem der zahlreichen Zweige der Familie von Bismarck noch zu verfangen. Abgesehen davon, dass das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes Vertreibung seit 1945 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert, böte ihm und allen anderen so Denkenden das Beispiel des Kaiserreichs genügend Anschauungsmaterial für die politisch wie gesellschaftlich katastrophalen Folgen ihrer Gesinnung.

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Königliches Schloss zu Dresden. Blick vom Königlichen Zwinger über Sophienstraße und Taschenberg auf den Westflügel (Moritzbau); Fotografie, Deutschland, um 1890, Abzug auf Papier, Pappe, Bismarck-Museum, Friedrichsruh, Inventar-Nr.: A 389.

Die vierflügelige Schlossanlage in der Dresdner Altstadt geht auf eine spätmittelalterliche Burg aus dem 13. Jahrhundert zurück. Sie diente seit dem 15. Jahrhundert den Markgrafen von Meißen und späteren Herzögen, Kurfürsten und Königen von Sachsen aus dem Haus Wettin als Residenz. Obwohl bis heute als Renaissance-Anlage erhalten, vereint das Schloss dennoch eine Reihe verschiedener Baustile. 1701 wurden Teile der Anlage durch einen Brand zerstört, erst 1717/19 wiederaufgebaut und im Innern teilweise im Stil des Barocks ausgestaltet. Das berühmte, neun Räume umfassende Grüne Gewölbe wurde zwischen 1723 und 1729/30 für die öffentliche Präsentation der wettinischen Kunst- und Raritätensammlung erbaut. Anlässlich der 800-Jahr-Feiern des Herrscherhauses Wettin fanden zwischen 1889 und 1901 umfangreiche Erweiterungs- und Umbauten der Schlossanlage statt, wozu auch die einheitliche äußere Fassadengestaltung im Stil der Neorenaissance gehörte.

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Markierte die Reichsgründung den Anfang vom Ende der Geschichte Preußens? Oder hat Preußen das Deutsche Kaiserreich dominiert? Lennart Bohnenkamp (TU Braunschweig) schlägt mit seiner Forschung einen Mittelweg ein und zeigt an konkreten Beispielen, wie in der „doppelten Hauptstadt“ Berlin zwischen 1867 und 1918 regiert wurde. Als charakteristisch arbeitet er die „verdoppelten politischen Persönlichkeiten“ heraus: Der preußische König war zugleich Deutscher Kaiser, der Ministerpräsident fast ununterbrochen auch Reichskanzler, zahlreiche Parlamentarier saßen im Preußischen Landtag und im Reichstag. Bereits in der Bismarck-Ära klagten Amts- und Mandatsträger zwar über die Doppelbelastung, die Verknüpfung der Entscheidungen auf Reichs- und Landesebene funktionierte aber politisch. Dies sollte sich ändern, nachdem die Ergebnisse der Reichstags- und der Abgeordnetenhauswahlen – bedingt durch die unterschiedlichen Wahlsysteme – immer stärker auseinanderdrifteten. „Der Zwang, mit zwei Parlamenten verschiedener Zusammensetzung und entgegengesetzter Gesinnung zu arbeiten, mußte jede Regierung in lähmende Halbheiten verstricken“, urteilte der damalige Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg in der Rückschau.

Der Vortrag fand am 7. Dezember 2023 im Historischen Bahnhof Friedrichsruh statt. Titelbild unter Verwendung einer Fotografie, die Flaneure vor dem Berliner Reichstagsgebäude und der Statue des ersten Reichskanzlers Otto von Bismarck zeigt, um 1900.