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Die Online-Biografie wird Leben und politisches Wirken Otto von Bismarcks umfassend darstellen.

Reichsgründer und erbitterter Gegner der Sozialdemokratie, „ehrlicher Makler“ und Kulturkämpfer, zeitweiliger Befürworter eines Kolonialreiches und verantwortlich für die damals modernste Sozialgesetzgebung der Welt: Die politische Bilanz Otto von Bismarcks weist Licht- und Schattenseiten auf. Auch heute noch, kurz vor dem 150. Jahrestag der Gründung des Deutschen Kaiserreichs, wird lebhaft über ihn diskutiert.

Wie groß dabei der Informationsbedarf ist, verrät auch ein Blick auf die zahlreichen Aufrufe des knappen Lebenslaufes, der hier auf unserer Website einzusehen ist. Um diesen Bedarf besser als bisher zu stillen, haben wir die Idee entwickelt, den Diplomaten, preußischen Ministerpräsidenten und ersten Reichskanzler mit einer multimedialen Online-Biografie ausführlich vorzustellen. Das geplante Projekt hat auch im Hause der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien, Professor Monika Grütters, überzeugt: Bei uns in Friedrichsruh ist die Zusage für die Finanzierung in Höhe von 100.000 Euro eingetroffen. Persönlich unterstützt hat dieses Vorhaben auch der Vorsitzende des Fördervereins der Stiftung, der Bundestagsabgeordnete Norbert Brackmann (CDU).

Damit kann die Verwirklichung des Projekts jetzt beginnen, bereits ausgeschrieben ist die Stelle für eine wissenschaftliche Mitarbeit. In den kommenden Monaten werden wir unter anderem eine Bismarck-Chronik, ein Lexikon wichtiger Personen, eine Dokumenten- und Bildersammlung sowie eine Auswahlbiografie erarbeiten. So entsteht ein geschichtswissenschaftlich fundiertes Nachschlagewerk über Otto von Bismarck und seine Zeit, das für alle Interessierten mit wenigen Klicks zu erreichen sein wird. Die Veröffentlichung ist für April 2022 geplant.

Ferdinand von Bismarck (1771 – 1845)

Als Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck am 22. November 1845 aus dem Leben schied, wusste er wenigstens zwei seiner Kinder auf einem guten Lebensweg. Der älteste Sohn, der 35-jährige Bernhard, war Gutsbesitzer und Landrat und hatte ihn zum zweifachen Großvater gemacht. Die Zukunft seiner Tochter, der erst 18-jährigen Malwine, war seit ihrer Hochzeit ein Jahr zuvor mit Oskar von Arnim-Kröchlendorff finanziell abgesichert. Nur für den zweiten Sohn schienen die Ausschichten nicht allzu rosig zu sein: Der 30-jährige Otto hatte zwar sein Jurastudium beendet, das Referendariat aber abgebrochen und bewirtschaftete nun – immerhin erfolgreich – in Pommern das Gut Kniephof, das der Familie lange Jahre als Hauptsitz gedient hatte.

Ferdinand von Bismarck selbst konnte auf ein langes Leben zurückblicken, in das er in privilegierter Stellung hineingeboren worden war. Er erlebte aber auch persönlich wirtschaftlich schwierige Zeiten, wurde Zeitzeuge großer politischer Umwälzungen und musste sich privat damit abfinden, nicht das ganz große Glück gefunden zu haben.

Geboren wurde er am 13. November 1771 auf dem elterlichen Gut in Schönhausen/Elbe. Da seine Mutter Christiane kurz vor seinem ersten Geburtstag starb, wuchs er mit seinen drei Brüdern beim Vater Karl Alexander auf. Ferdinand wurde kein kultivierter Schöngeist wie dieser, galt aber als gutmütig und hatte später als Familienvater ein Herz für Kinder. Sein Sohn Otto erinnerte sich an ihn als einen unkomplizierten Menschen:

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In der Ausstellung zu sehen: „Der Radicale – Der Liberale – Der Conservative“. Die Zeitungs-Politiker, Leipzig, 1849, Lithografie (Reproduktion) © Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig

Die Wechselwirkungen zwischen der politischen Öffentlichkeit und den modernen Medien beleuchtet zurzeit die Ausstellung „Von Luther zu Twitter“. Zu sehen ist sie bis zum 11. April 2021 im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Allen Interessierten, die angesichts der aktuellen Infektionszahlen mit dem Coronavirus von einer Fahrt in die Hauptstadt absehen, sei der informative Begleitband empfohlen, in dem auch wichtige Entwicklungen im 19. Jahrhundert aufgezeigt werden. In einem der Beiträge analysiert Prof. Dr. Ulrich Lappenküper, Geschäftsführer unserer Stiftung, wie Otto von Bismarck die Medien seiner Zeit nutzte und zu instrumentalisieren versuchte.

Für Bismarck „waren Zeitungen zunächst vor allem ein unverzichtbares Mittel der Informationsbeschaffung“, schreibt Lappenküper. „Schon als Schüler hatte er seiner Mutter aus französischen Blättern vorgelesen, um sie über den Verlauf der Juli-Revolution von 1830 zu informieren.“ Zum Politiker geworden, gewann für ihn ein zweites Medium an Bedeutung, das im 19. Jahrhundert die Nachrichtenübermittlung und damit auch die Berichterstattung in der Presse revolutionierte: die Telegraphie. Beide Medien wusste er über die Jahrzehnte nicht nur zur Information, sondern auch politisch zu nutzen. Die Absicht, die Öffentlichkeit und damit auch die politischen Entscheidungsträger zu beeinflussen, werden in dem Beitrag beispielhaft unter anderem an lancierten Meinungsartikeln, Versuchen der Pressezensur sowie der Emser Depesche veranschaulicht. Deutlich wird, dass die Presse für den preußischen Ministerpräsidenten und ersten Reichskanzler Mitstreiter und Gegner zugleich war.

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Die Übungsbögen werden im Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung aufbewahrt (Inventar-Nr. A 32e, Bl. 291).

Eines der 36 großformatigen Übungsblätter aus dem Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung wurde in Kopie verteilt: Prof. Dr. Werner Lehfeldt gestaltete seinen Vortrag im Historischen Bahnhof Friedrichsruh über „Bismarck und die russische Sprache“ höchst anschaulich. Das Publikum konnte so mit eigenen Augen die Fehlerkorrekturen nachverfolgen, die Otto von Bismarck während seines Russisch-Unterrichts vorgenommen hatte. Lehfeldt, der bis zu seiner Emeritierung am Seminar für Slavische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen lehrte, nutzte seinen Vortrag damit zugleich für eine kleine Einführung in die Schwierigkeiten des Russischen.

Bismarck war etwas widerwillig im März 1859 nach St. Petersburg gereist. Statt neuer preußischer Gesandter am Hof des Zaren zu werden, hätte er sich lieber auf einer verantwortungsvollen Position im Herzen Europas und nicht an dessen geografischen Rand gesehen. Dennoch nahm er seine neue Aufgabe sehr ernst und begann noch vor der Abreise, sich autodidaktisch der russischen Sprache zu nähern und die kyrillische Schrift zu lernen. In der russischen Metropole angekommen, nahm er bald zweimal wöchentlich bei dem Jura-Studenten Wassili Alexejew Sprachunterricht. Sein Motiv war eindeutig: Er habe sich entschlossen, „allmählich die Dolmetscher, die Alles hören und sehen, was man thut, loszuwerden“.

Prof. Dr. Werner Lehfeldt wertete für seine Publikation Bismarcks Übungsblätter aus.

Alexejew lobte die Auffassungsgabe seines Schülers später in höchsten Tönen und berichtete, er habe gemeinsam mit ihm einen Roman von Turgenjew gelesen sowie die Zeitschrift Kolokol („Die Glocke“). Sie wurde im europäischen Ausland unter anderem von Alexander Herzen herausgegeben, so die Erläuterungen Lehfeldts, und war eigentlich in Russland verboten. Aber die Botschaften erhielten sie zensurfrei und für Alexejew dürfte damit der Sprachunterricht die einmalige Gelegenheit gewesen sein, eine kritische Exilzeitung zu lesen.

Ob der sprachbegabte Bismarck, der Englisch und Französisch fließend beherrschte, allerdings im Russischen so große Fortschritte erzielte wie von seinem Lehrer berichtet, zweifelte Lehfeldt an. Die Übungsblätter ließen keine Rückschlüsse auf eine systematische Unterrichtung in Grammatik und kein umfangreiches Lernen von Vokabeln erkennen. Bismarck selbst erzählte später, er habe sich mit Kutschern und Dienstboten gut verständigen können, aber für ein gehobenes Gespräch in den feinen Salons der Stadt hätten seine Kenntnisse nie ausgereicht.

 

Veröffentlichungen zum Thema

Werner Lehfeldt
Bismarck und die russische Sprache
Berlin 2019

W. Alexejew
Erinnerungen des ehemaligen russischen Sprachlehrers des Fürsten Otto von Bismarck
St. Petersburg, Leipzig 1895

Der handgeschriebene Gründungserlass (© Auswärtiges Amt)

Abschrift des Gründungserlasses (© Auswärtiges Amt)

„Als Otto von Bismarck am 8. Januar 1870 den Gründungserlass für das ‚Auswärtige Amt‘ des kurzlebigen Norddeutschen Bundes unterschrieb, da konnte er nicht ahnen, dass dieser Federstrich die heute älteste zentrale Behörde Deutschlands ins Leben rufen würde“, schreibt Bundesaußenminister Heiko Maas auf der Website, die das Auswärtige Amt aus Anlass seines 150jährigen Bestehens veröffentlicht hat.

Für historisch Interessierte ist diese Website eine wahre Fundgrube: Das Team des Politischen Archivs hat aus den 27 Regalkilometern Akten 150 Objekte für eine Zeitleiste aufbereitet und digitalisiert. Diese werfen „Schlaglichter auf denkwürdige, interessante und teilweise auch dunkle Ereignisse“, so die Erläuterung, angestrebt werde damit aber keine umfassende Geschichtsschreibung.

Den Objekten sind jeweils kurze Informationen beigefügt. So ist zum dreiseitigen, handschriftlichen Gründungserlass nachzulesen, dass sich Otto von Bismarck bei der Benennung des Auswärtigen Amtes an der Bezeichnung anderer Außenministerien, etwa dem britischen Foreign Office, orientiert habe. Es folgt in dieser Zeitleiste der Bericht Heinrich von Abekens über die Unterredung König Wilhelms I. mit dem französischen Botschafter Vincent Graf Benedetti in Bad Ems am 13. Juli 1870, die sogenannte Emser Depesche. „In den Akten des Auswärtigen Amts haben sich sowohl Konzept und Reinschrift des ursprünglichen Berichts erhalten wie auch zweifach die gekürzte Fassung, die an die preußischen Vertretungen in den anderen deutschen Staaten gerichtet war.“

Zugeordnet sind die gezeigten Objekte nicht den politischen Systemen, die Deutschland durchlebt hat, sondern den Jahrzehnten, blieb doch das Auswärtige Amt als Institution stets bestehen. Diese Chronologie zeigt ausschnitthaft die Höhen und Tiefen der Geschichte Deutschland und seiner auswärtigen Beziehungen eng beieinander. Zu den Objekten gehören unter anderem ein geheimer Bericht über den Emigranten – und späteren Bundesaußenminister – Willy Brandt vom 27. Mai 1937, die Karte zum deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 („Hitler-Stalin-Pakt“), ein Eintrag des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Václav Havel im Gästebuch der Bundesrepublik Deutschland am 8./9. Mai 1991 sowie ein Plakat zur Ausstellung anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, die im Januar und Februar 2018 im Lichthof des Auswärtigen Amts gezeigt wurde.

Der Otto-von-Bismarck-Stiftung steht bei ihrer Arbeit ein Wissenschaftlicher Beirat zur Seite, dem namhafte Historikerinnen und Historiker angehören. Ihre Expertise bereichert die interdisziplinär und methodisch vielfältige Bismarck-Forschung, die eine zentrale Aufgabe dieser Politikergedenkstiftung ist.

Prof. Dr. Ewald Frie (Foto: © FanyFazii)

In loser Reihenfolge möchten wir die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats mit einem kurzen Fragebogen vorstellen. In dieser Folge antwortet Prof. Dr. Frie.

Zur Person

Prof. Dr. Ewald Frie (geb. 1962) hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster Neuere Geschichte, Mittlere Geschichte und Katholische Theologie studiert, nebenbei sammelte er erste Berufserfahrungen als Museumsführer im Mühlenhof-Freilichtmuseum Münster. Mit einer Arbeit über „Die Armenfürsorge der Stadt Münster und die Einführung des Elberfelder Systems“ schloss er sein Studium als Magister Artium ab; es folgten ein wissenschaftliches Volontariat am Westfälischen Institut für Regionalgeschichte Münster sowie die Promotionsschrift „Wohlfahrtsstaat und Provinz. Fürsorgepolitik des Provinzialverbandes Westfalen und des Landes Sachsen 1880-1930“. Während beruflicher Stationen in Düsseldorf und Essen entstand die Habilitationsschrift „Friedrich August Ludwig von der Marwitz 1777 –1837. Biographien eines Preußen“. Seit Oktober 2008 lehrt Prof. Dr. Frie an der Universität Tübingen Neuere Geschichte. 2011 bis 2016 leitete er den Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“.

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Druck, Deutschland, 1870 – Material: Papier – Herkunft: Otto-von-Bismarck-Stiftung Friedrichsruh, Inventar-Nr.: He ZSg 073

Nach dem Sturz der spanischen Königin Isabella II. im September 1868 begann die neue Regierung umgehend mit der Suche nach einem neuen Herrscher für den vakanten Thron. Die unter Geheimhaltung erfolgten, zunächst aber stockenden Sondierungen führten schließlich im Februar 1870 zu einem erneuten Angebot der Regierung in Madrid an den katholischen, mit einer portugiesischen Prinzessin verheirateten Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen, sich um die spanische Krone zu bewerben. Leopold besaß enge verwandtschaftliche Beziehungen zu Napoleon III. und sein Bruder Karl war mit Billigung des französischen Kaisers 1866 zum Fürsten von Rumänien erhoben worden. Somit erschien er der spanischen Regierung als geeigneter Kandidat. Napoleons Plazet sollte eingeholt werden, sobald Leopold sich zur Annahme der spanischen Krone bereit erklärt hatte.

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Bernhard von Bismarck als junger Erwachsener (Reproduktion eines Gemäldes von E. Boltz, Bismarck-Museum)

„Lieber Bruder. In dieser scheußlichen Zeit muss man an alten Gewohnheiten festhalten, um sich mit ihr in Widerspruch zu setzen, und darum schreibe ich Dir einen feierlichen Gratulationsbrief zu Deinem Geburtstag. Möge Heil und Segen Dich auf allen Wegen u.s.w.“ Otto von Bismarck musste in diesem Brief vom 22. Juli 1848 nicht ausführen, was diese Zeit aus seiner Sicht so „scheußlich“ machte: Am 18. Mai 1848 hatten sich in der Frankfurter Paulskirche die Abgeordneten des ersten gesamtdeutschen Parlaments versammelt, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten. Die Brüder hatten zuvor als Abgeordnete im Ersten und Zweiten Vereinigten Preußischen Landtag die Anfänge des deutschen Parlamentarismus mitgestaltet, hielten aber treu zur preußischen Monarchie.

Bernhard von Bismarck wurde am 24. Juli 1810 in Schönhausen/Elbe geboren, fünf Jahre vor seinem Bruder Otto, 1827 kam ihre Schwester Malwine zur Welt. Er verlebte die ersten zehn Jahre seines Lebens auf dem Land, erst in Schönhausen/Elbe, dann auf dem pommerschen Gut Kniephof, bevor er nach Berlin in die Schule geschickt wurde. Sein kleiner Bruder Otto folgte – sechsjährig und unfreiwillig – ein Jahr später. Einige Jahre lebten sie in der elterlichen Stadtwohnung, betreut von einer Haushälterin und einem Hauslehrer, die Eltern waren nur in den Wintermonaten bei ihnen. Während der Vater Ferdinand in den verschiedenen Biografien Otto von Bismarcks als gutmütiger Mensch beschrieben wird, behandelte die Mutter Luise Wilhelmine ihre beiden Söhne mit großer Strenge. Dem 15jährigen Bernhard schrieb sie: „Ich muß es dir vorher sagen, daß, wenn dein Zeugnis zu Michaelis nicht vorzüglich gut ausfällt, du für den kommenden Winter nicht bei uns wohnst, und auch nur selten, und nie ohne [Schuldirektor] H. Plamanns Erlaubnis uns wirst besuchen dürfen.“

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Felix Ekberg (l.) interviewte Prof. Dr. Ulrich Lappenküper über den zeitgemäßen Umgang mit dem historischen Bismarck-Denkmal in Hamburg. (Foto: Matthias Fischer)

In der aktuellen Debatte über Deutschlands historische Rolle als Kolonialmacht sind Stimmen laut geworden, die den Sturz der Bismarckdenkmäler und die Umbenennung von Bismarckstraßen fordern. In dieser stark verkürzten und die Geschichte verzerrenden Argumentation dient der erste Reichskanzler als eine Symbolfigur für Rassismus. Diese Zuschreibung wird damit begründet, dass er nach langer Ablehnung schließlich 1882 doch dem deutschen Erwerb von Kolonialbesitz zugestimmt hatte.

In Hamburg konzentriert sich die Diskussion derzeit vor allem auf die von der Hamburgischen Bürgerschaft beschlossene Sanierung des Bismarck-Denkmals im Alten Elbpark. Bleicherhaus e.V., eine Institution der politischen Bildungsarbeit in der Hansestadt, hat nun auf YouTube zu diesem Thema drei Videos hochgeladen, mit denen die gesamte Auseinandersetzung auf eine breiter fundierte Basis gestellt wird. Nach einer kurzen Einleitung im ersten Video „Bismarck: Vater der deutschen Nation oder konservativer Sozialistenfeind?“ vermittelt zunächst Ulrich Hentschel einen Überblick über die Politik des ersten Reichskanzlers, wobei insbesondere die Bezüge zu Hamburg betont werden. Bismarck wird als „Doppelstratege“ vorgestellt, für den die Sozialistengesetze und die Sozialgesetzgebung keinen Widerspruch bedeuteten. Hentschel erinnert unter anderem auch an die bedeutende Rolle Hamburger Kaufleute, allen voran von Adolph Woermann, die den Kolonialerwerb vorantrieben und dafür beim ersten Reichskanzler massiv lobbyierten.

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Max Weber (mit Hut) auf einer Tagung in Burg Lauenstein, Thüringen, im Jahr 1917: Dort traf er einige linke Künstler und Intellektuelle, die mitten im Ersten Weltkrieg für den Pazifismus eintraten, unter ihnen der Dichter Ernst Toller (im Hintergrund). © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz / DGDB

Vor einhundert Jahren, am 14. Juni 1920, starb der Gründervater der deutschen Soziologie Max Weber. Noch heute zählen seine Kernthesen zum unverzichtbaren Vokabular nicht nur wissenschaftlicher Debatten, sondern auch der politischen Auseinandersetzung. „Leidenschaft und Augenmaß“, „charismatische Herrschaft“, Politik als „Bohren harter Bretter“, „Werturteilsfreiheit“ oder „Gesinnungs-“ und „Verantwortungsethik“. Wer kennt sie nicht, die Schlüsselbegriffe des Weberschen Denkens.

Geboren am 21. April 1864 in Erfurt, hatte der Sohn eines Juristen zunächst wie sein Vater Rechtswissenschaften studiert, dann aber nach der Habilitation mit nur dreißig Jahren einen Lehrstuhl für Nationalökonomie an der Universität Freiburg angenommen. 1896 wechselte Weber an die Universität Heidelberg, musste seine akademische Tätigkeit jedoch zwei Jahre später wegen seines exzessiven Arbeits- und Lebensstils aufgeben. Dank des familiären Vermögens lebte Weber fortan als Privatgelehrter und verbrachte mehrere Jahre in Nervenkliniken. Erst im Mai 1919 fühlte er sich dazu imstande, den ihm nun angetragenen Lehrstuhl für Gesellschaftswissenschaften an der Universität München anzunehmen.

Äußerst kritisch stand Weber der Politik des Eisernen Kanzlers Otto von Bismarck gegenüber – und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen warf er ihm eine „cäsarische Herrschaft“ vor, die das Aufkommen politischer Führernaturen im Keim erstickt und das Parlament zur Bedeutungslosigkeit verdammt habe. Bismarck, so heißt es in Webers 1918 erschienenem Werk „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“, habe eine Nation hinterlassen „ohne alle und jede politische Erziehung, […] eine Nation ohne allen und jeden politischen Willen, […] eine Nation, daran gewöhnt, unter der Firma der ‚monarchischen Regierung‘ fatalistisch über sich ergehen zu lassen, was man über sie beschloß“.1 Weber dagegen wünschte sich eine Führerdemokratie nach englischem Vorbild, eine „lebende Maschine, welche die bureaukratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihren Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt“.2

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