Wie erinnern wir uns an das Kaiserreich – und vor allem: auf welcher Grundlage? Prof. Dr. Torsten Riotte (Goethe-Universität Frankfurt) diskutiert in seinem Vortrag die unterschiedlichen Ansätze in Fachwissenschaft und politischer Bildungsarbeit. Während beispielsweise in Museen die Wissensvermittlung im Vordergrund stehe, könne die geschichtswissenschaftliche Forschung keine Eindeutigkeit bieten. Sie strebe vielmehr nach neuen Fragen, Differenzierung und Debatte. Damit werde ein dynamisches Wissenskonzept verfolgt. Die Geschichtswissenschaft könne daher der interessierten Öffentlichkeit zwar die quellenbasierten Grundlagen der Diskussion über das Kaiserreich erklären, aber keine eindeutigen Antworten liefern. Allerdings sei zu überlegen, so Riotte, ob auch die Wissenschaft für sich einen Bildungsauftrag annehmen sollte.

Das Video ist auf unserem YouTube-Kanal zu sehen.

Markierte die Reichsgründung den Anfang vom Ende der Geschichte Preußens? Oder hat Preußen das Deutsche Kaiserreich dominiert? Lennart Bohnenkamp (TU Braunschweig) schlägt mit seiner Forschung einen Mittelweg ein und zeigt an konkreten Beispielen, wie in der „doppelten Hauptstadt“ Berlin zwischen 1867 und 1918 regiert wurde. Als charakteristisch arbeitet er die „verdoppelten politischen Persönlichkeiten“ heraus: Der preußische König war zugleich Deutscher Kaiser, der Ministerpräsident fast ununterbrochen auch Reichskanzler, zahlreiche Parlamentarier saßen im Preußischen Landtag und im Reichstag. Bereits in der Bismarck-Ära klagten Amts- und Mandatsträger zwar über die Doppelbelastung, die Verknüpfung der Entscheidungen auf Reichs- und Landesebene funktionierte aber politisch. Dies sollte sich ändern, nachdem die Ergebnisse der Reichstags- und der Abgeordnetenhauswahlen – bedingt durch die unterschiedlichen Wahlsysteme – immer stärker auseinanderdrifteten. „Der Zwang, mit zwei Parlamenten verschiedener Zusammensetzung und entgegengesetzter Gesinnung zu arbeiten, mußte jede Regierung in lähmende Halbheiten verstricken“, urteilte der damalige Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg in der Rückschau.

Der Vortrag fand am 7. Dezember 2023 im Historischen Bahnhof Friedrichsruh statt. Titelbild unter Verwendung einer Fotografie, die Flaneure vor dem Berliner Reichstagsgebäude und der Statue des ersten Reichskanzlers Otto von Bismarck zeigt, um 1900.

In seinem Vortrag im Historischen Bahnhof Friedrichsruh erinnert Dr. Ralf Zerback an Robert Blum. Der Publizist, Barrikadenkämpfer und Abgeordnete der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848 sei heute fast vergessen, obwohl er zu den geistigen „Urvätern“ der Bundesrepublik zähle – Blum sei „ein Freiheitspionier, ein Demokratie-Kraftwerk und ein Europa-Enthusiast“ gewesen. Dr. Zerback zeichnet den Lebensweg des Revolutionärs nach, der aus armen Verhältnissen stammte, sich autodidaktisch ausbildete und Zeitgenossen als der „beste Mann“ in der Nationalversammlung galt. Seinen Tod fand er am 9. November 1848 vor einem Erschießungskommando, nachdem er vergeblich versucht hatte, in Wien die Revolution gegen die reaktionäre österreichische Monarchie zu verteidigen.


Der Vortrag fand am 9. November 2023 statt. Titelbild unter Verwendung von „Robert Blum’s letzter Kampf für Deutschland’s Freiheit zu Wien, den 28ten October 1848“, Lithografie von Louis Schmitt, 1849

Gegen die Ungleichbehandlung der Frauen formierte sich im Deutschen Kaiserreich politischer Widerstand. Die Historikerin Dr. Anne-Laure Briatte stellt in ihrem Vortrag den Kampf gegen die rechtliche Diskriminierung sowie die fehlenden Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen in den Mittelpunkt. Ihnen wurde bis über die Jahrhundertwende hinaus meist der Zugang zu höherer Schulbildung, Berufsausbildung und Studium verwehrt, sodass sie – sofern sie sich nicht durch ein Erbe oder eine Heirat wirtschaftlich absichern konnten – in großer Mehrheit als Ungelernte schlecht bezahlt arbeiten mussten.

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Liberale und demokratische Politiker und Intellektuelle, die eine Revolution vorbereiteten, Bauern, die sich von der Last des Feudalismus befreien wollten – für einen kurzen historischen Augenblick schien es 1848 möglich, mit vereinten oppositionellen Kräften die Macht der Fürsten und Könige in den deutschen Ländern konstitutionell einzuhegen und einen freiheitlichen, nationalen Verfassungsstaat zu gründen. Prof. Dr. Christian Jansen (Universität Trier) zeigt in seinem Vortrag, an welchen Widersprüchen die Revolutionen 1848/49 trotz erster Erfolge dann doch scheiterten. Deutlich wird aber auch, welche langfristigen Folgen vor allem die Debatten in der ersten gesamtdeutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und die – nie in Kraft getretene – Verfassung für die weitere politische Entwicklung in Deutschland haben sollten. Zu den zentralen Stichworten gehören der aufkommende Nationalismus, das unheilvolle Streben nach einer machtvollen Größe eines Deutschen Reichs einschließlich der Erwerbung von Kolonien, aber auch die Emanzipation der Juden und das allgemeine Männerwahlrecht.

Das Vortragsvideo ist auf dem YouTube-Kanal „Otto-von-Bismarck-Stiftung Friedrichsruh“ zu sehen.

Dr. Nils Freytag (Ludwig-Maximilians-Universität München) charakterisiert die Moderne als eine Entwicklung, die aus widersprüchlichen Teilprozessen besteht. Viele dieser Aufbrüche zur Zeit des Wilhelminischen Kaiserreichs – Industrialisierung, Urbanisierung, Globalisierung und Säkularisierung – begreift der Historiker als Vorgeschichte weiterer Entwicklungen, die teilweise bis in die Gegenwart reichen.

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Vor welchen bürokratischen Schwierigkeiten Deutsche standen, die eine Partnerin oder einen Partner mit einer nichtdeutschen Staatsangehörigkeit ehelichen wollten, zeigte PD Dr. Christoph Lorke in seinem Vortrag am 26. Januar 2023 im Historischen Bahnhof Friedrichsruh auf.

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Schleswig-Holstein sei ein wirklich winziger Fleck auf der großen Weltkarte, stellt Prof. Dr. Oliver Auge (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) in seinem Vortrag im Historischen Bahnhof Friedrichsruh fest. Umso erstaunlicher sei es, dass es in der Vergangenheit oftmals Schauplatz oder Objekt und Thema großer Weltpolitik gewesen sei. Der Historiker zeigt, wie sich seit dem Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert hinein Landes- sowie Regionalgeschichte und Weltpolitik immer wieder denkbar nahekamen. Zu den wichtigen Ereignissen und Personen, die er in den Blick rückt, zählen die Schlacht von Bornhöved im Jahr 1227, der „Schwiegervater Europas“, König Christian IX., und die Volksabstimmung über den Verlauf der deutsch-dänischen Grenze 1920.

Titelbild unter Verwendung einer Miniatur aus der Sächsischen Weltchronik, die die Schlacht von Bornhöved im Jahr 1227 zeigt.

Bundesminister a.D. Peter Altmaier war eingeladen, im Rahmen der wissenschaftlichen Konferenz „Entscheidungskulturen in der Bismarck-Ära“ einen öffentlichen Abendvortrag im Schloss Reinbek zu halten. Vor 140 Gästen entfaltete er die „Entscheidungskulturen der Gegenwart“ aus seiner Perspektive als politischer Akteur.

 

Preußens antipolnische Siedlungspolitik in den Jahren 1886 bis 1914 war das Thema des Vortrags, den Dr. Daniel Stienen (Bayerische Akademie der Wissenschaften) am 9. Juni im Historischen Bahnhof Friedrichsruh gehalten hat.

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