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Prof. Dr. Carola Groppe eröffnete im gut besuchten Historischen Bahnhof Einblicke in eine historische Lebenswelt.

Das Leben mochte nach der Reichsgründung unübersichtlicher geworden sein, hatte durch Bevölkerungswachstum, Hochindustrialisierung und Ausbau der Infrastruktur an Tempo gewonnen. Das Bürgertum aber fand darauf seine Antwort, wie es Prof. Dr. Carola Groppe gestern in ihrem Vortrag im Historischen Bahnhof Friedrichsruh beschrieb: Die bürgerliche Person sollte durch ihre Bildung in der Lage sein, alle „Fäden in der eigenen Hand“ zu halten und damit individuell für sich verantwortlich zu sein.

Die Erziehungswissenschaftlerin, die an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg lehrt, veranschaulichte ihren Forschungsbefund am Beispiel der damals etwa 60-köpfigen Unternehmerfamilie Colsman aus Langenberg bei Essen. Diese war dem Wirtschaftsbürgertum zuzuordnen, dessen Lebensmodell in vielerlei Hinsicht große Gemeinsamkeiten mit dem Bildungsbürgertum, also den akademisch Ausgebildeten und ihren Familien, aufwies. Während sich die älteren Colsmans in der ersten Phase des Kaiserreichs bis 1890 weiterhin als Preußen fühlten, änderte sich die Eigenwahrnehmung im Laufe der zweiten Phase von 1890 bis 1914: Die nächste Generation pflegte Handelsbeziehungen nicht nur nach England, sondern rund um den Globus, profitierte von der ersten Globalisierung und entwickelte Stolz auf die wirtschaftlichen Leistungen – die eigenen und die des Deutschen Reiches, dem man sich zunehmend verbunden fühlte.

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Deutschland, 1922, Öl auf Leinwand, rechts unten signiert Ernst Wichert (1885 – 1953), auf dem Keilrahmen betitelt „Geburtsort Bismarcks“, 78 x 98 cm (mit Rahmen), Dauerleihgabe Christian Thielemann, Berlin.

Die Otto-von-Bismarck-Stiftung wird immer wieder mit Schenkungen oder Dauerleihgaben von Kunstwerken und Büchern bedacht, die inhaltlich einen Bezug zum ersten Reichskanzler aufweisen. Die jüngste Dauerleihgabe, die Friedrichsruh erreichte, ist ein Gemälde, das einen Blick auf Schönhausen bietet.

Das 1922 entstandene Bild zeigt das zwischen 1695 und 1700 durch August II. von Bismarck (1666 – 1732) auf den Grundmauern eines 1642 abgebrannten Vorgängerbaus errichtete Geburtshaus des späteren Reichskanzlers Otto von Bismarck in Schönhausen/Elbe in der Altmark. Das Gebäude wurde 1958 auf Anordnung der SED gesprengt. Der Blick des Betrachters geht vom Rand des Schlossparks aus auf das Hauptgebäude des Schlosses, vorbei an einem von mehreren im Park aufgestellten Geschützen mit französischen Bronzerohren aus dem 18. Jahrhundert.

An das Hauptgebäude schließt sich links ein Seitenflügel an, der die Sprengung von 1958 überstanden hat und in dem sich seit 1998 ein Bismarck-Museum befindet. Es wird von der Gemeinde Schönhausen unterhalten und im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit der Gemeinde sowie dem Land Sachsen-Anhalt von der Otto-von-Bismarck-Stiftung wissenschaftlich betreut.

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Der Innenhof des Hamburger Rathauses, aufgenommen zwischen 1897 and 1905. Martin Haller hatte sich sehr engagiert für den Neubau eingesetzt und war dann federführend an der Realisierung beteiligt.

„Mein Specialfach ist Privat- und Luxusarchitektur. Das entspricht meinem Charakter, meinem Geschmack“, schrieb Martin Haller am 3. Juni 1861 aus Paris an seinen Vater. Nach Stationen in Potsdam und Berlin war er in die französische Hauptstadt gezogen, um dort seine Ausbildung abzurunden – just in der Zeit, in der Georges-Eugène Haussmann deren Zentrum in eine moderne Metropole umgestaltete. Als Haller bald darauf die eigene Karriere in seiner wirtschaftlich aufstrebenden Heimatstadt Hamburg begann, setzte er auch auf eine Architektur im Stil der Neorenaissance und gewann damit im Laufe der nächsten Jahrzehnte zahlreiche Auftraggeberinnen und Auftraggeber, die seine herrschaftlichen Bauten sehr schätzten.

Martin Haller (1835 bis 1925) baute aber nicht nur luxuriöse Villen für die Hamburger Oberschicht, wie Dr. Claus Gossler am gestrigen Abend im Historischen Bahnhof Friedrichsruh erläuterte, sondern auch Bankhäuser und moderne Bürobauten, die Laeiszhalle und, als führendes Mitglied im Rathausbaumeisterbund, das Hamburger Rathaus. In seinen aktiven Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er damit Teil der Hamburger Gesellschaft. Wie genau er diese im Blick hatte, zeigen seine Lebenserinnerungen. Er hatte sie in den Jahren 1913 bis 1920 handschriftlich in elf Kladden zu jeweils etwa 100 Seiten festgehalten. Jahrzehntelang lagen sie unbeachtet im Hamburger Staatsarchiv – die Stadt hatte ihren Sohn, der doch ihr modernes Gesicht so maßgeblich mitgeprägt hat, fast vergessen. Erst mit der hundertsten Wiederkehr der Einweihung des Hamburger Rathauses im Jahr 1997 sei die Erinnerung an Martin Haller langsam wieder zurückgekehrt, berichtete Gossler.

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