Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt a/M

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Die Revolution von 1848/49, Teil II

Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt a/M. Kolorierter Stahlstich von Joseph Maximilian Kolb und Frederick (Friedrich) Girsch, gezeichnet von Heinrich Hasselhorst, Deutschland, 1848, Höhe: 14,6 cm, Breite: 23,7 cm, Material: Papier (Leihgabe aus Privatbesitz)

Die in Frankfurt am Main tagenden Gesandten der Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes (Bundesversammlung) stimmten den Beschlüssen des Vorparlaments und damit unter anderem der Wahl eines nationalen Parlaments zu (siehe den Beitrag „Einzug der Mitglieder des Vorparlaments in die Frankfurter Paulskirche“). Ebenso erklärte die Bundesversammlung den doppelköpfigen Adler – seit dem Spätmittelalter Symbol für das Kaisertum und das Heilige Römische Reich – mit der Umschrift „Deutscher Bund“ zum Bundeswappen sowie die schwarz-rot-goldene Fahne zur Fahne des Deutschen Bundes – letzteres ebenfalls mit (allerdings falschem) Bezug auf das Alte Reich, dessen „Reichspanier schwarz-roth-gold“ gewesen sei.1

Die Beschlüsse der Bundesversammlung vom 30. März und 7. April 1848 beinhalteten als Rechtsgrundlage allgemeine Vorgaben für die ersten in ganz Deutschland durchzuführenden Wahlen zur Nationalversammlung.2 Diese als „Bundeswahlgesetz“ bezeichneten Beschlüsse legten unter anderem fest, dass alle volljährigen und „selbständigen“ männlichen Angehörigen ihres jeweiligen Staates das aktive und passive Wahlrecht besaßen. Weil eine Definition fehlte, was unter „Selbständigkeit“ zu verstehen war, wurde dieser Punkt in den Einzelstaaten, in denen die Wahlen organisiert und abgehalten wurden, unterschiedlich interpretiert. Letztlich wurde auf diese Weise vor allem den Beziehern von Armenunterstützung und Personen ohne eigenen Haushalt das Wahlrecht vorenthalten. Da im Bundeswahlgesetz sowohl ein Zensus- als auch ein Klassenwahlrecht ausgeschlossen wurden, lief es weitgehend auf ein gleiches, öffentliches (nicht geheimes) Männerwahlrecht hinaus, wobei in der großen Mehrheit der Staaten die indirekte Wahl durchgeführt wurde. Schätzungen zufolge konnten in den einzelnen Staaten 80 bis 85 Prozent der Männer wählen. Die Wahl fand auch in den zum Deutschen Bund gehörenden Territorien der österreichischen Monarchie statt, allerdings boykottierte die tschechischsprachige Bevölkerung Böhmens und Mährens die Wahl. Da es noch keine Parteien gab, bildeten sich zahlreiche Wahlkomitees, Bürgerausschüsse und Honoratiorenvereine, um Kandidaten für die Nationalversammlung aufzustellen.

Nach der Wahl konstituierten sich am 18. Mai 1848 330 gewählte Vertreter des Volkes zunächst im Kaisersaal des Frankfurter Römers, anschließend in der Paulskirche als verfassunggebende Nationalversammlung. Deren erste Sitzung leitete als Alterspräsident der siebzigjährige Abgeordnete und Jurist Friedrich Lang (1778 – 1859). Von den formell vorgesehenen 585 Abgeordneten versammelten sich in Frankfurt im Durchschnitt 400 bis 500 Mandatsträger. Dominiert wurde die Nationalversammlung von akademisch gebildeten Staatsdienern (Offiziere, Diplomaten, Richter und Staatsanwälte, höhere Verwaltungsbeamte, Bürgermeister, mittlere Beamte) sowie Vertretern freier und geistiger Berufe (Universitätsprofessoren, Lehrer, Geistliche, Anwälte, Ärzte, Bibliothekare, Verleger, Buchhändler, Schriftsteller). Hinzu gesellten sich noch Vertreter der Wirtschaft (Landwirte, Kaufleute, Handwerker), aber kein Angehöriger der Arbeiterschaft. Obwohl über 100 Adelige gewählt worden waren, beherrschten jedoch die Vertreter des (gehobenen) Bürgertums die Parlamentsbühne. Da im weiteren Verlauf wiederholt Mandatsträger ausschieden und durch andere ersetzt wurden, gehörten insgesamt rund 800 Abgeordnete der Nationalversammlung an.

Die hauptsächlichen Aufgaben der Abgeordneten, die sich zunächst eine Geschäftsordnung gaben, lagen in der Errichtung einer vorläufigen Reichsgewalt und in der Ausarbeitung einer Verfassung als Grundlage für einen zeitgemäßen deutschen Nationalstaat. Die politischen Ideen des Vormärz sollten nun verfassungsrechtliche Realität werden, wobei die große Mehrheit der Abgeordneten keinen gewaltsamen Umsturz, sondern eine auf Recht und Gesetz beruhende Umgestaltung der bestehenden politisch-sozialen Ordnung im Sinn hatte. Bei den folgenden Verhandlungen im Plenum stieß eine Vielzahl unterschiedlicher Vorstellungen der Abgeordneten aufeinander. Rund siebzig Prozent der Parlamentarier, die zunächst als Individuen ihren Platz in Frankfurt eingenommen hatten, bildeten seit Ende April verschiedene Gruppierungen (Fraktionen) mit übereinstimmenden politischen Überzeugungen und Zielen. Diese Gruppierungen wurden schließlich nach ihren Tagungslokalen benannt. Es seien hier die fünf ursprünglichen „Klubs“ aufgezählt, ohne spätere Abspaltungen: 1. Steinernes Haus und Café Milani (konservative Rechte), 2. Großer Hirschgraben und Casino (Liberalkonservative), 3. Württemberger Hof (Linksliberale), 4. Deutscher Hof (gemäßigte Linke), 5. Donnersberg (extreme Linke).

Während die extreme Linke die Revolution konsequent bis zur Errichtung einer Republik, notfalls auch mit Gewalt, zu Ende führen wollte, forderte die gemäßigte Linke die gewaltlose Schaffung einer Republik mit starker Zentralgewalt und einem demokratisch gewählten Einkammerparlament. Demgegenüber zielten die Linksliberalen auf eine parlamentarisch-bundesstaatliche Monarchie mit starkem Parlament. Die Liberalkonservativen traten hingegen für eine konstitutionelle Monarchie mit starker Regierungsgewalt, aber unter Berücksichtigung der Eigenheiten der Einzelstaaten, sowie für ein Zensuswahlrecht ein. Die konservative Rechte wiederum verfolgte das Ziel einer moderaten Reform des Deutschen Bundes. Die Nationalversammlung sollte hierbei lediglich eine beratende Funktion in der Verfassungsfrage erhalten, aber keine Macht ausüben dürfen.

So sehr sich die einzelnen politischen Forderungen dieser „Klubs“ auch unterschieden, in einem Punkt war sich die große Mehrheit der Abgeordneten einig: Das primäre Ziel der Nationalversammlung war die Herstellung eines vereinten und freiheitlichen Deutschlands – Detailfragen mussten im weiteren Verlauf der Verhandlungen geklärt werden, wofür beratende Ausschüsse eingesetzt wurden. Um seiner Verantwortung gegenüber dem Volk als Souverän gerecht zu werden und Transparenz zu garantieren, wurden die Sitzungen der Nationalversammlung nicht nur protokolliert, sondern sie waren auch öffentlich zugänglich.

Zahlreiche zeitgenössische Abbildungen geben einen Eindruck vom festlich geschmückten Innenraum der evangelischen Haupt- und St. Paulskirche zu Frankfurt am Main, der als Tagungssaal der Nationalversammlung diente. Auch der hier gezeigte kolorierte Stahlstich bietet dem Betrachter einen Blick in den als Rotunde angelegten Innenraum, der von einer Kuppel überwölbt wird. Der Stich stammt von dem möglicherweise aus Nürnberg gebürtigen Kupfer- und Stahlstecher Joseph Maximilian Kolb (vor 1818 – nach 1859) sowie dem in Büdingen geborenen, dann 1849 in die USA ausgewanderten Radierer, Porträtmaler, Stahl- und Banknotenstecher Frederick (Friedrich) Girsch (1821 – 1895). Die zeichnerische Vorlage lieferte der aus Frankfurt/M. stammende Maler und Zeichner Johann Heinrich Hasselhorst (1825 – 1904), Schüler des Malers Jakob Becker (1810 – 1872).

In der Mitte des Innenraums finden sich, stufenförmig aufsteigend, die Sitzplätze der Abgeordneten. Vom Platz des Parlamentspräsidiums aus gesehen saßen die Vertreter der radikalen und gemäßigten Demokraten auf der linken Seite, die Links- und Rechtsliberalen, die die Mehrheit in der Nationalversammlung bildeten, in der Mitte des Plenums, während die Konservativen auf der rechten Seite ihre Plätze einnahmen.

Sitzreihen für Zuschauer mit Eintrittskarten sowie Diplomaten und andere hohe Persönlichkeiten befinden sich rechts der Abgeordnetensitze am Rand des Innenraums, die Bankreihen zur linken Seite waren Besucherinnen, die zahlreich den Sitzungen beiwohnten, vorbehalten. Weitere Sitzmöglichkeiten für Zuschauer standen auch auf der von Säulen getragenen Empore zur Verfügung, die bis zu 2.000 Personen fassen konnte. Die Gäste nahmen für sich durchaus in Anspruch, Redebeiträge der Parlamentarier durch lautstarken Applaus oder Missfallenskundgebungen zu kommentieren. An der Stelle der Kanzel sind das Präsidentenpult sowie die Rednertribüne aufgebaut worden. Die Orgel wurde von dem Gemälde der „Germania“ als Sinnbild der deutschen Nation verdeckt. Das Gemälde wird zu beiden Seiten von mit schwarz-rot-goldenem Band durchschlungenen Eichenkränzen flankiert, die mit Strophen aus einem Gedicht von Georg Herwegh (1817 – 1875) versehen sind. Dabei wurde das Wort „Feuerband“ durch das freundlicher klingende „Liebesband“ ersetzt:

„O walle hin Du Opferband,
Hin über Land und Meer,
Und schling ein einig Liebesband
Um alle Völker her.“

„Des Vaterlandes Größe,
des Vaterlandes Glück,
O schafft sie, o bringt sie,
Dem Volke zurück.“

Hinter dem Präsidentenpult hängt ein blauer, den Altar verdeckenden Vorhang, darauf befindet sich ein Schild mit einem Doppelkopfadler, über dem Vorhang sind drei schwarz-rot-goldene Fahnen angebracht. Im unteren Bereich des Raumes schmücken rote Vorhänge die Fenster, während ein blaues Tuch im oberen Bereich nebst mehreren schwarz-rot-goldenen Fahnen als Schmuck befestigt ist. Hinter dem Präsidententisch steht Heinrich von Gagern (1799 – 1880), die rechte Hand auf einer kleinen Glocke. Gagern war am 19. Mai 1848 zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt worden. Hinter ihm und am Rednerpult sind weitere Personen zu erkennen. Unterhalb des Präsidentenpults waren die Sitze der Schriftführer angebracht, etwas weiter entfernt standen die Tische der Stenographen.

Im Vordergrund sind einige wichtige Abgeordnete abgebildet und namentlich bezeichnet (von links nach rechts): Friedrich Siegmund Jucho (1805 – 1884), Martin Mohr (1788 – 1865), Franz Zitz (1803 – 1877), Robert Blum (1807 – 1848), Jacob Venedey (1805 – 1871), Franz Raveaux (1810 – 1851) und Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852). Mit Ausnahme des „Turnvaters“ Jahn, der der rechtsliberalen Casino-Fraktion angehörte, waren die anderen Genannten allesamt Vertreter der extremen und gemäßigten Linken in der Nationalversammlung.

 

zuvor erschienen: Die Revolution von 1848/49, Teil I: Einzug der Mitglieder des Vorparlaments in die Frankfurter Paulskirche


1. Nr. 76 (Nr. 73), Bundesbeschluß über Wappen und Farben des Deutschen Bundes vom 9. März 1848; Ernst-Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. neubearbeitete und vermehrte Auflage Stuttgart – Berlin – Köln – Mainz, S. 329.

2. Nr. 82 (Nr. 79), Erster Bundesbeschluß über die Wahl der deutschen Nationalversammlung vom 30. März 1848; ebd., S. 337; Nr. 83 (Nr. 80), Zweiter Bundesbeschluß über die Wahl der deutschen Nationalversammlung vom 7. April 1848, ebd., S. 338.