Einzug der Mitglieder des Vorparlaments in die Frankfurter Paulskirche

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Die Revolution von 1848/49, Teil I

 

Einführung

2023 jährt sich zum 175. Mal der Ausbruch der Deutschen Revolution (auch: Märzrevolution) von 1848/49, die zu den herausragendsten historischen Ereignissen im 19. Jahrhundert auf dem Weg Deutschlands zu einem freiheitlichen Nationalstaat zählt. Aus ihr ging das erste frei gewählte deutsche Nationalparlament hervor, das sich die Errichtung eines liberal verfassten deutschen Nationalstaats auf parlamentarischen Wege vorgenommen hatte. Zwar scheiterte dieser Versuch, aber das Scheitern bedeutete nicht das Ende der Bemühungen der Nationalbewegung, ein vereintes und freiheitliches Deutschland zu begründen.

Die Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh, die das Thema auch im Rahmen von Vortragsveranstaltungen sowie Führungen durch ihre Ausstellungen aufgreift, nimmt dieses Gedenkjahr zum Anlass, einige Exponate aus ihrem Sammlungsbestand, die einen Bezug zu 1848/49 aufweisen, in lockerer Folge zu präsentieren.

Prolog: Deutschland zwischen Restauration und Revolution 1815–1848

Nach der Erschütterung der politischen und sozialen Verhältnisse infolge der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege waren die europäischen Staatsmänner in den Jahren 1814/15 in Wien bestrebt, Europa eine neue und dauerhafte Friedensordnung zu geben. Diese wurde sichtbar in der territorialen Neugliederung Europas, vor allem Deutschlands, wo anstelle des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ein Staatenbund, der Deutsche Bund, entstand. Ein weiteres Merkmal der Neuordnung war die Schaffung eines Gleichgewichts zwischen den fünf Großmächten Großbritannien, Russland, Österreich, Preußen und Frankreich (Pentarchie).

Einzug der Mitglieder des Vorparlaments in die Frankfurter Paulskirche. Holzstich (Reproduktion), nach einer zeitgenössischen Lithografie von Jean Nicolas Ventadour (1822 – ca. 1880), gezeichnet von Fritz Bergen, Deutschland, 1896, Maße (Blatt): Höhe: 30 cm, Breite: 21,5 cm, Material: Papier (© Otto-von-Bismarck-Stiftung, Inventar-Nr. ZSg 2963).

An eine vollständige Wiederherstellung der politischen und sozialen Verhältnisse, wie sie vor 1789 geherrscht hatten, war im Hinblick auf die territorialen, politischen und gesellschaftlichen Folgen der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons I. nicht zu denken. Zwar lehnten die in Wien versammelten Vertreter der europäischen Mächte die Revolution als herrschaftsbegründendes Prinzip ab und betonten das monarchische Legitimitätsprinzip sowie das Gottesgnadentum. In der Realität jedoch erwies sich schließlich das als legitim, was sich durchgesetzt hatte. Es kam daher zu keiner Restauration der vorrevolutionären Verhältnisse. Die europäischen Mächte behielten die zukunftsträchtigen Errungenschaften der Revolution und der Napoleonischen Ära bei. Insofern ist der Begriff „Zeitalter der Restauration“ für die Jahre von 1815 bis 1830/1848 eher irreführend als wirklich zutreffend.

Das einzige gemeinsame Organ des neu gegründeten Deutschen Bundes war die Bundesversammlung, ein weisungsgebundener Gesandtenkongress, zu Frankfurt am Main. Der Bund besaß kein gemeinsames Oberhaupt, als Präsidialmacht fungierte vielmehr das Kaisertum Österreich. Es existierten auch keine Bundesregierung und kein Parlament. Vorrangiger Zweck des Bundes war die „Erhaltung der äußern und innern Sicherheit Deutschlands sowie der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.“ 1 Obwohl die Wiener Schlussakte von 1815 und die Bundesakte von 1820 durchaus Möglichkeiten boten, den Deutschen Bund in Richtung eines Bundesstaates auszubauen, wurden diese, trotz einiger Reformbemühungen in den 1850er- und 1860er-Jahren, von der Bundesversammlung nicht konsequent umgesetzt.

Als einzige staatenübergreifende Institutionen auf deutschem Boden entwickelten sich die regionalen Zollvereine, die sich 1834 zum Deutschen Zollverein, der unter der Führung Preußens stand, zusammenschlossen. In Deutschland entstand auf diese Weise immerhin ein mehr oder weniger einheitlicher Wirtschaftsraum, in dem die Industrialisierung mit dem Beginn des Eisenbahnbaus 1835 durch ein engagiertes Wirtschafts- und Handelsbürgertum sowie wirtschaftspolitische Maßnahmen der deutschen Staaten vorangetrieben wurde.

Das Versprechen der Fürsten, in ihren Staaten Verfassungen einzuführen, wurde hinausgezögert oder nur in einem Teil der Staaten des Deutschen Bundes umgesetzt. Angehörige des aufstrebenden Bürgertums, das nach politischer Mitsprache verlangte, waren mit dieser politischen Entwicklung in Deutschland unzufrieden. Forderungen nach politischen und gesellschaftlichen Reformen wurden erhoben, doch wurden sowohl liberale Reformideen als auch das nationale Prinzip von den meisten Regierungen der deutschen Staaten als Bedrohung ihrer Machtstellung empfunden und mit repressiven Mitteln bekämpft. Doch trotz aller Unterdrückungsmaßnahmen gelang es nicht, die sich bildende freiheitliche Nationalbewegung vollkommen zu unterdrücken. Es gab zwar Bürger, die sich wegen der Unterdrückungsmaßnahmen der Behörden von der Politik in das Privatleben zurückzogen („Biedermeierzeit“). Dennoch kam es zu einer Fortführung und sogar Weiterentwicklung von politischen Strukturen der nationalen und liberalen Bewegung.

Während die Regierungen der deutschen Staaten weiterhin versuchten, die wachsende Opposition aus liberal und national Gesinnten zu unterdrücken, wuchsen die sozialen Spannungen infolge des raschen Anstiegs der Bevölkerung und der sich ausbreitenden Industrialisierung. Der angestaute politische und gesellschaftliche Ärger machte sich schließlich in den Unruhen des Jahres 1830 Luft. Die Julirevolution in Frankreich, die zum Sturz König Karls X. führte, breitete sich über weite Teile Europas aus und führte auch in Deutschland zu politisch-gesellschaftlichen Erschütterungen. Im Deutschen Bund ging mit Herzog Karl II. von Braunschweig sogar ein deutscher Fürst wegen seiner spätabsolutistischen Eskapaden seines Thrones verlustig – die aus legitimistischer Sicht problematische Thronfolge seines Bruders Wilhelm wurde von der Bundesversammlung geduldet, wenn auch mit der Hand am Degen. Die Revolution von 1830 zeigte, dass der Ruf des Bürgertums nach liberalen Reformen, der Ruf der Menschen aus den unteren Schichten nach Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage sowie der Ruf der nationalen Bewegung nach nationaler Einheit ein europäisches Phänomen war. Liberale Reformen und nationales Prinzip erschienen vielen Menschen als angemessene Antworten auf die Fragen, die der politische, gesellschaftliche und ökonomische Wandel aufwarf.

Als Reaktion auf diese Unruhen verschärften die deutschen Staaten den Druck auf die liberale und nationale Bewegung durch Verfolgung angeblicher Demagogen und die Kontrolle der Presse. Es gelang den Behörden jedoch nicht mehr, die oppositionellen Kräfte mit den Mitteln des Polizeistaates zum Schweigen zu bringen. In Süddeutschland, besonders in Baden, wo Zensur und Verfolgung nicht so streng durchgeführt wurden, entfaltete sich eine neue öffentliche Diskussion. Immer häufiger wurde die Forderung nach einem deutschen Nationalstaat und einer nationalen Volksvertretung gestellt. Sichtbar wurde dies im Rahmen des „Fests aller Deutschen“ auf dem Hambacher Schloss vom 27. Mai bis zum 1. Juni 1832, wo sich rund 30.000 Menschen, darunter Studenten, Handwerker und Bauern, unter den Farben Schwarz-Rot-Gold zusammenfanden. Die Versammelten forderten liberale und soziale Reformen sowie die nationale Einheit. Das Fest demonstrierte auch die zahlenmäßige Stärke dieser oppositionellen Bewegung, die neben liberalen Forderungen auch den sozialen Protest der Landbevölkerung und republikanische Vorstellungen artikulierte. Solche radikalen Töne riefen den Deutschen Bund auf den Plan, der prompt Maßnahmen gegen die Bewegung und ihre führenden Protagonisten ergriff: Unter anderem wurden die schwarz-rot-goldenen Farben verboten, die Versammlungs- und Vereinsfreiheit aufgehoben, die Pressezensur verschärft und die Initiatoren der Veranstaltung verhaftet.

Das Hambacher Fest war eine machtvolle Demonstration der nationalen und liberalen Bewegung, zeigte aber auch ihre sich immer deutlicher abzeichnende Spaltung in einen gemäßigten konstitutionell-reformerischen und einen radikalen republikanisch-demokratischen Flügel. Vereint wurden diese Gruppen indes von der nationalen Idee. Der Nationalstaat war das gemeinsame Ziel. Erst nach dessen Verwirklichung sollten liberale Reformen die Volkssouveränität an die Stelle der Fürstensouveränität setzen.

Ungelöste nationale und verfassungspolitische Probleme wie auch soziale und wirtschaftliche Nöte steigerten im Verlauf der 1840er-Jahre die Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung. Ausgelöst wurden die Unruhen in Deutschland erneut jenseits des Rheins, nämlich mit der Februarrevolution von 1848 in Frankreich. Sie führte zur endgültigen Beseitigung des Königtums und weitete sich, wie schon 1830, auf weite Teile Europas aus. Im März 1848 kam es im Deutschen Bund zu ersten Demonstrationen, auf denen die Vereinsfreiheit, die Aufhebung aller Zensurmaßnahmen, die Einführung von Schwurgerichten sowie die Aufstellung von Bürgermilizen gefordert wurden, wobei es, wie in Berlin und Wien, auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Staatsmacht kam.

Während die radikalen Gruppen, vornehmlich in Süddeutschland, auf die Errichtung einer demokratischen Republik abzielten, blieb das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum bei seinen Wünschen nach Einführung von liberalen Verfassungen, ohne dabei die monarchische Staatsform in Frage zu stellen. Gemeinsam war diesen Gruppen jedoch der Wunsch nach nationaler Einheit, die durch ein frei gewähltes nationales Parlament verwirklicht werden sollte. Die Regierungen der Einzelstaaten, von der Wucht der Revolution überrascht, gaben den Forderungen der rebellierenden Massen nach. Neue, liberale Regierungen („Märzministerien“) wurden von den Fürsten aus Furcht um ihre Throne ernannt.

Nachdem bereits im Februar 1848 im badischen Landtag Forderungen nach Einberufung eines Nationalparlaments erhoben worden waren, trafen sich am 5. März in Heidelberg Vertreter aus ganz Deutschland zur Vorbereitung der Wahl einer Nationalversammlung. Diese initiierten die Einberufung eines Vorparlaments, das sich am 31. März in Frankfurt am Main konstituierte.

Das Vorparlament zu Frankfurt am Main

Der hier präsentierte Holzstich zeigt den Einzug der Mitglieder des Vorparlaments in die Paulskirche zu Frankfurt am Main am 31. März 1848. Der ursprünglich als Sitzungsort angedachte Kaisersaal im Frankfurter Rathaus erwies sich für die Versammlung als zu klein – nur die Eröffnungssitzung fand dort statt, anschließend begaben sich die Mitglieder des Vorparlaments in die Paulskirche. Das Gotteshaus und die umliegenden Häuser sind mit zahlreichen schwarz-rot-goldenen Fahnen geschmückt. Zu beiden Seiten der in schwarzen Anzügen gekleideten Vorparlamentsmitglieder, die dem Eingang der Kirche zustreben, stehen Vertreter der Turnervereine (in weiß gekleidet) Spalier, während um sie herum die bewaffnete Bürgergarde aufgezogen ist. Sie hatte die Aufgabe, das Vorparlament zu schützen, denn es wurden gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der gemäßigten Liberalen und der Republikaner befürchtet.

Das Vorparlament, das vom 31. März bis zum 3. April 1848 tagte, bestand aus 574 Ständevertretern und Landtagsabgeordneten sowie einigen weiteren Persönlichkeiten. Die Vorparlamentarier legten die Grundlagen für die allgemeinen Wahlen zur deutschen Nationalversammlung und berieten über die Frage einer nationalen Regierungsgewalt. Dieser Punkt berührte die hochpolitische Frage nach der Staatsform eines zukünftigen deutschen Nationalstaates. Die Anhänger einer Republik versuchten nun durch einen entsprechenden Antrag, umgehend verfassungsmäßige Grundlagen für die Errichtung einer Republik zu schaffen. Doch sie setzten sich gegen die gemäßigt-liberalen Mitglieder, die in dieser Frage keine entscheidenden Weichen stellen wollten, nicht durch. Die Problematik einer zukünftigen Regierungsgewalt erwies sich, nicht zuletzt wegen des Widerstands aus Preußen und Österreich, als derart kompliziert, dass eine Lösung durch die zu wählende Nationalversammlung erfolgen sollte.

Zudem beschloss das Vorparlament die Aufnahme des Herzogtums Schleswig sowie West- und Ostpreußens in den Deutschen Bund, ohne jedoch auf die nationalen Empfindungen von Dänen und Polen in den betroffenen Gebieten Rücksicht zu nehmen. Schließlich gelang es dem Vorparlament noch, die Bundesversammlung am 2. April zur Aufhebung der seit 1819 geltenden, repressiven Karlsbader Beschlüsse zu bewegen.

Ein von der Versammlung eingerichteter Fünfzigerausschuss sollte nach dem Ende der Beratungen bis zur Wahl der Nationalversammlung das bisher Erreichte sichern und die Wahlvorbereitungen in Kooperation mit der Bundesversammlung treffen. Diese wiederum setzte die Beschlüsse des Vorparlaments ohne weiteren Widerstand in Form von gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Staaten des Deutschen Bundes um.


Der Holzstich ist links unten von Fritz Bergen signiert und datiert. Als Vorlage diente eine zeitgenössische Lithografie von Jean Nicolas Ventadour (1822 – ca. 1880). Der am 5. November 1857 in Dessau geborene Bergen absolvierte an der Leipziger Kunstakademie sein Studium, bildete sich an der Münchener Kunstakademie weiter und war seit 1895 ebendort als Illustrator und Porträtist tätig. Von ihm stammt eine Vielzahl von Holzstich-Zeichnungen für Publikationen wie der „Illustrirten Zeitung“, „Die Gartenlaube“ und „Vom Fels zum Meer“. Auch für Bücher schuf er eine Reihe von Illustrationen. Bergen war mit Magdalena Raab verheiratet, aus der Ehe entsprangen die drei Söhne Claus, Hans und Otto Bergen. Fritz Bergen starb am 9. Januar 1941 in München.

 


1. Artikel 2 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815; Elisabeth Dross (Hrsg.), Quellen zur Ära Metternich, Darmstadt 1999, Bd. XXIIIa, 37.