Potpourri mit Maikäfer

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Aus dem pot pourri, dem „verdorbenen Topf“, war längst ein dekoratives Schmuckstück für das gutbürgerliche Ess- und Wohnzimmer geworden, als dieses Geschenk zum 80. Geburtstag bei Otto von Bismarck in Friedrichsruh eintraf: ein Potpourri, von einigen Verehrerinnen aus Dresden abgesandt.

Solche Vasen mit Deckel dienten im 18. und 19. Jahrhundert als Behältnis für eine Mischung aus Blüten, Kräutern, Schalen von Zitrusfrüchten und Gewürzen, mit der die Wohnräume beduftet wurden. Das Potpourri, das Bismarck erhielt, wurde unweit von Dresden in der Königlich-Sächsischen Porzellan-Manufaktur Meissen hergestellt, ist 88 Zentimeter hoch, im Stil des Rokoko gehalten und zeigt auf der Vorderseite eine Ansicht der Heimatstadt der Absenderinnen. Auf der Rückseite ist die in Gold gefasste Widmung „Dem großen Reichskanzler Fürsten Bismarck zu seinem 80. Geburtstag von einigen seiner begeisterten Verehrerinnen in Dresden“ zu lesen.

Potpourri mit Ansicht von Dresden, Geschenk für den „grossen Kanzler Fürsten Bismarck zu seinem 80. Geburtstage von einigen seiner begeisterten Verehrerinnen in Dresden“ zum 1. April 1895, Königlich Sächsische Porzellanmanufaktur, undatiert, Porzellan, teilweise gefasst und vergoldet, Bismarck-Museum, Friedrichsruh, Inventar-Nr.: A 162 (© Otto-von-Bismarck-Stiftung / Fotograf: Jürgen Hollweg)

Da diese Verehrerinnen gemeinsam mit dem Geschenk eine Adresse schickten – ein kunstvoll gestaltetes Papier mit ihren ergebensten Grüßen –, sind einige der Initiatorinnen zumindest halbwegs namentlich bekannt. In dem Band „Das [Schönhauser] Bismarck-Museum in Wort und Bild“ sind die „Damen Frau Souchay, Frau Siemens, Frau Tittmann und Fräulein von Glümer in Dresden-Blasewitz“ genannt. Blasewitz war ein Villenvorort der sächsischen Hauptstadt und die Absenderinnen des kostbaren Geschenks gehörten den gutsituierten bürgerlichen Kreisen an.

Bei Frau Siemens wird es sich um Elise Siemens, Ehefrau des Unternehmers Friedrich Siemens – er ist im Adreßbuch für Dresden und seine Vororte von 1900 als einziger Siemens zu finden – und Mutter des späteren Unternehmers und Kunstsammlers Friedrich Carl Siemens, gehandelt haben. Für den Nachnamen Tittmann sind 16 Einträge verzeichnet, sodass eine Zuordnung ohne weitere Informationen nicht möglich ist – verbunden war der Name in der sächsischen Hauptstadt mit dem 1864 verstorbenen Juristen und Historiker Friedrich Wilhelm Tittmann. Im Adreß- und Geschäfts-Handbuch für Blasewitz für das Jahr 1895 ist zudem die verwitwete Marie Souchay aufgelistet. Sie gehörte einer wohlhabenden deutsch-britischen Kaufmannsfamilie an, die ursprünglich aus Frankreich stammte, und war eine Verwandte des Soziologen Max Weber sowie der Ehefrau des preußischen Landwirtschaftsministers Robert Lucius von Ballhausen. Zu finden ist außerdem die Schriftstellerin Auguste Scheibe, langjährige Freundin der Schriftstellerin Claire von Glümer, die beiden Frauen lebten seit vielen Jahren zusammen. Claire von Glümer galt als demokratisch gesinnt und setzte sich für die Rechte der Frauen ein. Eine Verbindung zu Bismarck lässt sich über einen Umweg herstellen: Ein guter Freund von ihr, der Publizist Julian Schmidt, hatte zu seinem 60. Geburtstag 1878 ein Glückwunschschreiben des ersten Reichskanzlers erhalten.

Die Verehrung der Dresdner Damen für Otto von Bismarck – der keine politischen Schritte zur gesellschaftlichen und rechtlichen Gleichstellung der Frau in die Wege leitete – war vor allem in konservativ gesinnten Kreisen keine Ausnahme. Im Friedrichsruher Bismarck-Archiv werden fast unzählige entsprechende Glückwunschreiben aufbewahrt und in „Das Bismarck-Museum in Wort und Bild“ sind über 50 „Ehrengaben von Frauen und Jungfrauen“ aufgeführt.

An dem Potpourri aus Dresden fallen nicht nur die Stadtansicht und die goldene Widmung auf, sondern auch die üppigen Relief-Blumen und das Relief-Obst – und ein Porzellan-Maikäfer, der seinen Weg zum oberen Rand der Vase fast geschafft zu haben scheint. Das Insekt dürfte 1895 zu allerlei Assoziationen eingeladen haben – es trat immer wieder als Plage der Landwirtschaft auf und spielt im fünften der Streiche von „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch (1865 erstveröffentlicht) eine Hauptrolle als Quälgeist. Vor allem aber war es eine Delikatesse und dies nicht nur für Hühner, in deren Futter es gemischt wurde. In Frankreich und Teilen Deutschlands wurden Maikäfer geröstet und zur Maikäfersuppe verarbeitet, wie bei dem Biologen und Wissenschaftshistoriker Joseph Albert Massard nachzulesen ist. Auch sollen Konditoren sie verzuckert oder kandiert als Nachtisch angeboten haben.

 

Königliche Porzellan-Manufaktur Meißen, in: Louis Oeser (Hrsg.): Album der sächsischen Industrie, Band 1, Neusalza 1856

Quellen:

Adreß- und Geschäfts-Handbuch für Blasewitz mit Neugruna und Neuseidnitz, 1895

Adreßbuch für Dresden und seine Vororte, 1900

Eva Chrambach, Claire von Glümer, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V.

A. de Grousilliers,  unter Mitwirkung von W. L. Schreiber, Das Bismarck-Museum in Wort und Bild. Ein Denkmal deutscher Dankbarkeit, Berlin 1899

Joseph Albert Massard: Maikäfer in Luxemburg. Historisches und Kurioses, in: Lëtzebuerger Journal, 8. Mai 2007, S. 26-27

Ulf Morgenstern (Hrsg.), Arzt und Abenteurer, Minister und Memoirenschreiber. Autobiographische Aufzeichnungen des Bismarck-Vertrauten Robert Lucius von Ballhausen, Friedrichsruh 2017

Bernt Ture von zur Mühlen: Rezension zu Norbert Otto, Julian Schmidt. Eine Spurensuche, Hildesheim 2018


Das Potpurri ist als April-Kalenderblatt im Wandkalender „Durchlauchtigster Fürst“ zu sehen. Im März wurde die Karikatur „Dropping the Pilot“ vorgestellt.