Ein Geschenk zu viel – Ehrenschild, Ergebenheitsadresse und Bargeld für Bismarck
Ein aufwendig gestaltetes Ehrenschild aus Silber, eine vierseitige Ergebenheitsadresse auf Pergament und 10.000 Mark – das Geschenk, das eine Abordnung des Bundes der Landwirte (BdL) Otto von Bismarck zum 80. Geburtstag 1895 in Friedrichsruh überreichte, fiel mit der Geldspende als „Ehrengabe zu einem nationalen Zwecke“, wie in „Das Bismarck-Museum in Wort und Bild“ nachzulesen ist, aus dem Rahmen des Üblichen.
Der zwei Jahre zuvor, am 18. Februar 1893, gegründete Bund der Landwirte hatte mit einer klaren Agenda die politische Bühne des Kaiserreichs der Nach-Bismarck-Ära betreten. Der BdL agitierte gegen die von Reichskanzler Leo von Caprivi eingeleitete Außenwirtschaftspolitik, deren wichtiges Element Handelsverträge mit anderen Staaten waren. Der BdL unterstützte gegen diese Politik Abgeordnete im Reichstag und im Preußischen Landtag, die vornehmlich – aber keineswegs nur – der Deutsch-Konservativen Partei angehörten. Hans-Jürgen Puhle analysiert in seinem Buch „Agrarische Interessenpolitik und preußischer Konservatismus“ die Strategie des BdL, der sich selbst als Interessenvertretung aller Landwirte darstellte, tatsächlich aber den Absichten ostelbischer Gutsbesitzer und damit vor allem der Getreideproduzenten diente. Diese fürchteten die Einfuhr von (billigerem) Getreide aus dem Ausland. Zudem zeichnete sich der Bund der Landwirte durch seinen dezidierten Antisemitismus aus, wie Puhle auf der Grundlage einer umfangreichen Quellenauswertung schreibt, und radikalisierte den preußischen Konservatismus ins Nationalistische. Abgesehen von politischen Einzelmaßnahmen in seinem Sinne strebte er als übergeordnetes Ziel eine „gesellschaftspolitische Restauration in großem Rahmen“ (Puhle) an. So lehnte der BdL die Sozialversicherungen ab und befürwortete eine Bestrafung der Landarbeiter, die ihre Arbeitsverträge brachen, um vor den schlechten Lebensbedingungen auf den Gütern (die als soziale Frage ignoriert wurden) zu fliehen.
Die Überhöhung der Bedeutung der Landwirtschaft spiegelt sich auch in der Ausgestaltung des Ehrenschilds und der Ergebenheitsadresse – und das inmitten eines wirtschaftlichen Umbruchs und der rasanten Industrialisierung Deutschlands. Bereits 1851 hatten 80 Prozent aller Rittergutbesitzer in den östlichen Provinzen Preußens ihren Besitz verloren, wie bei Puhle nachzulesen ist. Viele der weiterbestehenden Betriebe wirtschafteten mit veralteten Methoden unrentabel und waren nicht selten überschuldet. Der Ehrenschild zeigt aber ein geschöntes Bild und gemäß des Anspruchs des BdL, alle Landwirte zu vertreten, „einen Großgrundbesitzer und einen Bauern, die einander die Hand zum Einigungsbunde reichen unter dem Wahlspruch: ‚Das ganze Deutschland soll es sein‘“, so die zeitgenössische Beschreibung im Museumsband. Die erste Seite der Ergebenheitsadresse hebt dazu die Reichsgründung hervor. In beiden Geschenken werden Bismarcks Wappen und seine Lebensdaten mit Landwirtschaft und Reichsgründung zu einer Einheit geformt. Damit fand die Politik des BdL eine Bildsprache, die Bismarck als vorbildlichen Landwirt und damit als Gestalt feierte, an der „sich alle folgenden Politiker messen lassen“ (Puhle) mussten.
Bismarcks 80. Geburtstag und das dreiteilige Geschenk fielen dabei in eine Zeit, in der der Bund der Landwirte einen „nationalen Zweck“ besonders intensiv verfolgte. Der ihm verbundene Reichstagsabgeordnete der Deutsch-Konservativen Partei Hans von Kanitz hatte in einem Antrag 1894 vergeblich gefordert, dass der Staat die Getreideimporte monopolisiert und einen über dem Marktniveau liegenden Preis garantiert. Von dieser Regelung hätten vor allem die ostelbischen Getreideproduzenten profitiert. Auch die dritte Fassung dieses „Kanitz-Antrags“ scheiterte im Dezember 1895 im Reichstag. Er wurde mit 219:97 Stimmen abgelehnt. Zu den wenigen Befürwortern zählte der fraktionslose Abgeordnete Herbert von Bismarck, der Sohn des Altkanzlers – die Familie besaß immer noch ostelbische Güter in Schönhausen und Varzin, zudem war man verwandtschaftlich verbandelt: Hans von Kanitz hatte 1879 in zweiter Ehe Marie von Bismarck-Bohlen, Otto von Bismarcks Großnichte zweiten Grades, geheiratet.
Otto von Bismarck selbst hatte immer einen gewissen Abstand zum BdL gewahrt, wie Puhle schreibt: „Abgesehen von kurzen Dankesworten bei Geburtstagen und Fackelzügen sowie nichtssagenden Ansprachen auf Bahnhöfen beschränkte sich Bismarcks Kontakt zum Bund der Landwirte auf einige wenige und unpersönliche Interviews, die er Bundesfunktionären gab. Es ist denkbar, dass Bismarck wohlwollend zusah, wie der Bund und dessen parlamentarische Vertreter den Berliner Regierungen das Leben schwer zu machen suchten, und dass er deshalb nicht gegen den ideologischen Bismarck-Kult im Bunde einschritt. Aktiv unterstützt hat er den Bund allerdings niemals.“
Hätte ein Geldgeschenk den politischen Abstand Bismarcks zum Bund der Landwirte verringern und politisch etwas bewirken können? Der Altreichskanzler hatte sich nach dem Tod seiner Frau Johanna im November 1894 gesundheitlich angeschlagen und schwermütig nach Friedrichsruh zurückgezogen. Nur zu den Feierlichkeiten rund um seinen 80. Geburtstag am 1. April 1895 lebte er noch einmal auf, wie Lothar Machtan unter Berufung auf Bismarcks Schwiegertochter Marguerite schreibt. Die Möglichkeit, unmittelbar auf die Regierungspolitik in Berlin Einfluss zu nehmen, bestand angesichts des zerrütteten Verhältnisses zu Kaiser Wilhelm II. aber ohnehin nicht.
Die Summe von 10.000 Mark, die Bismarck als Bargeschenk erhielt, erscheint abgesehen davon auch nur auf den ersten Blick nennenswert, da das durchschnittliche Monatseinkommen 1895 in Deutschland bei 60 Mark lag. Bismarck selbst allerdings war durch die Bewirtschaftung seiner Güter und Geldanlagen in Aktien einer der reichsten Menschen Deutschlands und ließ seine Kinder am Vermögen teilhaben. So überwies er beispielsweise Herbert von Bismarck im Februar 1890 mehrere Hunderttausend Mark, wie Fritz Stern in seinem Buch „Gold und Eisen“ schreibt.
Der Bund der Landwirte hatte für die Geschenke an Bismarck seine Mitglieder zur Spende aufgerufen. Bei 162.000 Mitglieder (Stand 1893) kamen 23.000 Mark zusammen, eine angesichts der Mitgliederzahl eher kleine Summe, von der 13.000 für die Herstellung des Schildes ausgegeben wurden. Der Museumsband vermerkt über das Geldgeschenk, dass Bismarck es „dem Bunde später wieder zugewiesen hat“. Der Ehrenschild hat seinen Platz zunächst im ersten Bismarck-Museum in Schönhausen gefunden und ist heute in Friedrichsruh ausgestellt.
Literatur / Quellen:
Deutsche Bundesbank: Kaufkraftäquivalente historischer Beträge in deutschen Währungen – Laut Tabelle entspricht die Kaufkraft von 10.000 Mark (1895) 79.000 Euro (2022), zu berücksichtigen sind aber ein anderes Preisgefüge und ein anderes Konsumverhalten.
A. de Grousilliers unter Mitwirkung von W. L. Schreiber: Das Bismarck-Museum in Wort und Bild. Ein Denkmal deutscher Dankbarkeit, Berlin 1899
Lothar Machtan: Bismarcks Tod und Deutschlands Tränen. Reportage einer Tragödie, München 1998
Hans-Jürgen Puhle: Agrarische Interessenpolitik und preußischer Konservatismus. Ein Beitrag zur Analyse des Nationalismus in Deutschland am Beispiel des Bundes der Landwirte und der Deutsch-Konservativen Partei, Hannover 1966 (Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung, B. Historisch-Politische Schriften)
Günter Richter: Kanitz, Hans Graf von, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 102-103 [Online-Version]
Fritz Stern: Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder, Frankfurt am Main 1978
Der Ehrenschild ist als Dezember-Kalenderblatt in unserem Wandkalender „Durchlauchtigster Fürst“ zu sehen. Zuvor erschienen: Ein Geschenk für den „Reichsschmied“