Kalenderblatt: Der Garten von Versailles

Der Garten von Versailles. Kolorierter Stahlstich, James Davis, nach William Callow (1812 – 1908), Großbritannien, 1839, Papier (© Otto-von-Bismarck-Stiftung, Inventar-Nr.: ZSg 2829)

Aus dem Bassin de Latone, dem Latonabrunnen, sprudelt das Wasser in die Höhe, einige Damen schützen sich trotz leichter Bewölkung mit Schirmen vor der Sonne, die zwei Herren vorne im Bild haben sich zum Plausch getroffen. Das Bild strahlt die Leichtigkeit eines sommerlichen Tages aus und verrät nichts von den Mühen, unter denen der Garten von Versailles entstanden ist.

André Le Nôtre (1613 – 1700), Lithografie von François-Séraphin Delpech (1778 – 1825), nach einem Gemälde von Carlo Maratta (1625 – 1713), Frankreich, um 1820 (© Otto-von-Bismarck-Stiftung, Inventar-Nr.: ZSg 2724)

Nachdem Ludwig XIV. (1638 – 1715) das Jagdschloss seines Vaters in Versailles geerbt hatte, plante er nicht nur einen prunkvollen Ausbau des Gebäudes. Der Garten, in dem bereits ein erstes Wasserbecken angelegt war, sollte außerdem vergrößert werden und der Erweiterung der repräsentativen Schlossräume dienen. In seinem Auftrag entwarf sein oberster Gärtner André Le Nôtre in Zusammenarbeit mit Louis Le Vau und Charles Le Brun die großzügige Anlage. Auch ihrem Wirken ist es zu verdanken, dass im Barock die Gartenbaukunst als gleichrangig zu den anderen bildenden Künsten angesehen wurde.

Die Arbeiten an diesem Barockgarten mit seinen Hainen, Wasserbecken und Fontänen, einer Orangerie und einem Labyrinth, das schon 1774 wieder entfernt wurde, dauerten ein Vierteljahrhundert. In dieser Zeit wurden insgesamt bis zu 36.000 Arbeiter beschäftigt, sie bewegten mit Hacke und Schaufel Millionen von Kubikmetern Erde und trugen sogar den Hügel von Montbaron ab, weil er der schnurgeraden Straße, die von Paris nach Versailles führen sollte, im Weg war.

Das zentrale Problem dieser Gartenanlage war allein mit Muskelkraft aber nicht zu lösen: die Wasserversorgung der Fontänen und Becken. Versailles lag auf sumpfigem Boden, zugleich gab es weder Quellen noch Flüsse, deren Strömung ausgereicht hätten, um die zahlreichen Wasserspiele zu betreiben. Gerade aber an seinem Wasserreichtum lasen Zeitgenossen die Bedeutung eines barocken Gartens ab. Daher wurden Seen gestaut, durch Mühlen betriebene Pumpen eingesetzt und ein Rohrleitungssystem entwickelt. Aber selbst die erste „Maschine von Marly“, die eigentlich eine innovative Ingenieurleistung darstellte, konnte nicht alle Wasserspiele bedienen: Nur wenn der König oder Gäste in der Nähe waren, wurden sie in Gang gesetzt.

Trotz dieser Unzulänglichkeiten wurde ebenso wie das Schloss auch der Garten zum Vorbild für königliche und fürstliche Residenzen in ganz Europa. Ein herausragendes Beispiel sind Schloss und Park auf der Insel Herrenchiemsee, die König Ludwig II. von Bayern anlegen ließ – einschließlich eines Latonabrunnens.


Quellen für diesen Beitrag und weitere Informationen zum Thema:

Château de Versailles: Le Bassin de Lantone

Melanie Lerch: Aus der Bibliothek des Sonnenkönigs: das Labyrinth von Versailles, ETH Zürich 2019

Pablo Schneider: Der Garten von Versailles als experimenteller Raum. Kunst, Wissenschaft und Souveränität zu Zeiten Ludwigs XIV., in: Julia Burbulla / Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann (Hrsg.): Gartenkunst und Wissenschaft. Diskurs, Repräsentation, Transformation seit dem Beginn der Frühmoderne.
Bern u.a. 2011, S. 89-126

Bettina Stangel: Wasserkünste als Mittel barocker Repräsentation am Beispiel der Gärten von Hellbrunn, Versailles und Belvedere, Diplomarbeit, Graz 2014 – hier finden sich detaillierte Angaben zur Problematik der Wasserspiele sowie zur Anzahl der eingesetzten Arbeiter

Bayerische Schlösserverwaltung: Park Herrenchiemsee


zuvor erschienen: Kalenderblatt: Königliche Oper in Versailles