Die Jahre 1886 und 1887

Historische Ansichtskarte aus Posen mit Blick auf das Gebäude der Königlich Preußischen Ansiedlungskommission (heute das Hauptgebäude der Adam-Mickiewicz-Universität Posen) und die St.-Pauli-Kirche (heute: Kirche des Heiligen Erlösers).

Ob es um die Begrenzung der Einfuhr billiger Heringe aus Skandinavien oder den Ausbau von Eisenbahnlinien ging, auf dem Schreibtisch Otto von Bismarcks, der zugleich deutscher Reichskanzler sowie preußischer Ministerpräsident und Handelsminister war, landeten wie in den Jahren zuvor die verschiedensten Aufgaben. Die mehr als 2000 Dokumente aus den Jahren 1886 und 1887 lassen allerdings erkennen, dass ihn dennoch nur die Spitze des Eisbergs politischer Angelegenheiten erreichte. Aus diesem Konvolut hat Dr. Ulf Morgenstern, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Otto-von-Bismarck-Stiftung, für diesen siebten Band der Gesammelten Werke, Abteilung III 548 Schriften ausgewählt, 410 davon bisher ungedruckt. In ihnen spiegelt sich nicht nur die hohe Arbeitsbelastung, sondern auch der Gesundheitszustand des über Siebzigjährigen: Nur zwanzig der abgedruckten Dokumente verfasste Bismarck eigenhändig, andere wurden ihm vorgefertigt zur Unterschrift vorlegt und eine große Anzahl „auf seine ‚Weisung‘ hin bzw. in seinem Namen zu Papier gebracht“ (XII). Dazu zählten auch acht Absagen auf Einladungen der Kaiserfamilie.

Seine prekäre körperliche Verfassung, die sich aus mehreren Schreiben nur allzu deutlich herauslesen lässt, hielt Bismarck aber nicht davon ab, sich etwa nur einem Tag nach einem verpassten Ball am 2. Februar 1886 mit einer zentralen Regierungsaufgabe, wie er meinte, zu beschäftigen: In einem langen Brief an das preußische Staatsministerium (Dokument 42) erörtert er die Möglichkeiten, mithilfe der Königlich Preußischen Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen polnische Landesteile dauerhaft zu germanisieren. Bismarck sei in dieser Angelegenheit als Nationalist im unangenehmen Sinne ein Kind seiner Zeit gewesen, schreibt Dr. Ulf Morgenstern, und habe zudem „als Ministerpräsident einer jener drei Länder, die sich Polen seit dem 18. Jahrhundert teilten“, Angst vor polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen gehabt. „Beide Motivlagen verbanden sich, wenn er in ein und demselben Schreiben wirksame Maßnahmen ‚gegen die Polonisierung‘ darin sah, Schulen nicht-preußischen Kindern zu verschließen, Ausländer genau zu beobachten und polnische Vereine analog zu den Maßnahmen des Sozialistengesetzes zu überwachen.“ (XXXII)

Die abgedruckte Auswahl an Dokumenten erlaubt insgesamt einen vertieften Einblick in Entscheidungsfindungen und tatsächliche Entscheidungen, die nun „in gelegentlich ganz neuem Licht zu sehen“ (XI) sind. Dies gilt insbesondere für die Kolonialpolitik des Kaiserreichs oder auch für die Beendigung des Kulturkampfes. Bismarck selbst machte keinen Hehl daraus, dass ihm „die elende Politik […] die Freude an der Jagd, an der Geselligkeit, an der Musik gestört“ hat, wie er am 23. Dezember 1886 schrieb, blickte dann aber doch ganz pragmatisch auf sein Leben: „Mir geht es zwar nicht so gut wie dem Kaiser als er in meinem Alter war, aber doch vermutlich besser als der Mehrzahl der 1815 gebornen [sic!] Sterblichen oder Toten.“ (319)

Holger Afflerbach, Konrad Canis, Lothar Gall und Eberhard Kolb (Hrsg.)
Otto von Bismarck. Gesammelte Werke – Neue Friedrichsruher Ausgabe
Abteilung III: 1871–1898. Schriften, Band 7: 1886–1887
bearbeitet von Ulf Morgenstern
Paderborn, Ferdinand Schöningh Verlag 2018
CXIV, 681 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, ISBN: 978-3-506-79217-4

Das Buch ist auch direkt hier erhältlich.

Rezension von Frank Engehausen in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 6 [15.06.2019]

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