Vor dem Klapprad kam der Klappaltar. Klar!

In den 1970er Jahren fertigte die Fahrrad-Schmiede „Bismarck“ in Radevormwald, der Zweirad-Mode entsprechend, auch Klappräder mit dem Namen des Reichsgründers. Diese merkwürdigen Fahrzeuge sind bei Liebhabern älterer Fortbewegungsmittel begehrt und der gegenwärtige Boom des Klapprads bei den großstädtischen Hipstern an Alster, Spree und Isar wird sicher noch das eine oder andere Bismarck-Klapprad den Weg aus Omas Keller ins Angebot von Ebay-Kleinanzeigen finden lassen. Was aber ist ein bitte schön Bismarck-Klappaltar?

Die Antwort ist einfach: ein für die private Bismarck-Verehrung in den heimischen vier Wänden gefertigter Reliquien-Schrein, s. Bild links. Wenn er uns nicht angeboten worden wäre, wir hätten es nicht geglaubt! Tatsächlich hat ihn ein Bismarck-Fan im Jahr 1904 für  eine sicher ordentliche Summe bei dem renommierten Buchbinder und Leder-Kunst-Handwerker Georg Hulbe (1851-1917) in Auftrag gegeben. Hulbe kam 1880 mit seiner Werkstatt aus Kiel nach Hamburg. Seine besondere Aufmerksamkeit widmete er dem Lederschnitt, dessen althergebrachte Tradition er in den neo-historistischen Hochzeiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts erfolgreiche erneuerte. 1895 erhielt er den Auftrag für sämtliche Lederstühle und Ledertapeten des Berliner Reichstages und etwas später auch für das Hamburger Rathaus. Hulbe expandierte und eröffnete Verkaufsstellen in Hamburg, Frankfurt am Main und Berlin. Neben Möbeln und Tapeten aus Leder stellte er u.a. Schreibmappen, Paravents und Schatullen her.

Den mittelalterlich stilisierten Klappaltar aus Eichenholz stellte Hulbe für die Aufbewahrung einer Schreibfeder Otto von Bismarcks her. Federn und Bleistifte aus der (vermeintlichen) Hand Bismarcks waren heißbegehrte Reliquien und haben mit mehr oder weniger glaubhaften Echtheitsbeglaubigungen die Zeiten überlebt. Bei der hiesigen gibt es einen zumindest vagen Bismarck-Bezug, denn der verarbeitende Kunsthandwerker Hulbe hatte für die Familie des Kanzlers im Ruhestand in den 1890er Jahren einen riesiegen Stammbaum in Leder gepunzt, der im Raum 1 des Bismarck-Museums in Friedrichsruh hängt. Sowohl der Stammbaum wie auch der Klappaltar sind mit den Herstellernamen „Georg Hulbe Hamburg Berlin“ versehen.

Die Gesamtmaße des zugeklappten Schreins betragen 52 x 27,5 x 2,5 cm. Er ist auf der Vorderseite teils mit geritztem und geprägten Leder mit partieller Vergoldung und Eisenbeschlägen versehen. Oben befindet sich eine Bronzemedaille mit Bismarcks Profil im Relief und der Aufschrift „Fürst Otto Bismarck Schönhausen“. Links ist sein Geburtshaus in Schönhausen, rechts das Schloss in Friedrichsruh zu sehen. Den unteren Bereich schmücken vergoldetes Eichenlaub (was sonst!) und das Familienmotto „In Trinitate Robur“ (In der Trinität liegt die Stärke). In der Mitte liegt die Schreibfeder auf einem Stück Leder mit der in Gold geprägten Signatur Bismarcks.

Die beiden aufklappbaren Flügel verbergen jeweils Pergamenteinlagen mit Inschriften in kolorierter Fraktur. Auf der Innenseite des linken Flügels befindet sich ein in Gold geprägtes Wappen mit dem Schriftzug „Durch!“. Auf dem linken Pergament ist zu lesen: „Diese Schreibfeder benutzte Se. Durchlaucht der Fürst Bismarck eigenhändig. Diese wurde dem Errichter dieser Urkunde von seinem Schwiegervater, dem Kaiserlichen Telegraphendirektor Mohrbutter in Lübeck am 6. Februar 1888 gestiftet.“ Rechts steht geschrieben: „An dem Tage, an welchem der Eiserne Kanzler im Deutschen Reichstage die denkwürdigen Worte sprach: ‚Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts auf der Walt!'“ Auf der Innenseite des Leders steht geritzt: „Diese Urkunde wurde errichtet von Wilhelm Ramm / Ostseebad Kolberg am 6. Juli 1904 / Das Holz ist Bismar[c]k Eiche aus dem Sachsenwald.“

111 Jahre später hat der „Altar to go“ den Besitzer gewechselt. Unser herzlicher Dank gilt dem Förderverein der Otto-von-Bismarck-Stiftung. Er hat durch die großzügige Übernahme des Kauf- und Restaurierungspreises ein faszinierendes Objekt für die geplante Modernisierung unsere Dauerausstlleung gesichert. Unser Bild zeigt der Geschäftsführer der Stiftung, Prof. Dr. Ulrich Lappenküper, und den Vorsitzenden des Fördervereins, Herrn Norbert Brackmann MdB. Beide sind sichtlich bester Laune, denn dieses bizarre Kunstwerk ist ein einzigartiges Relikt des Bismarck-Kults der Jahre um 1900, als die Verehrung Bismarcks zu einem bald jedes Maß verlierenden Mythos anschwoll. Es ist, um eine gelegentlich als verstaubt angesehene Archivalien-Klassifizierung zu verwenden, „Tradition“ und „Überrest“ zugleich. Wir freuen uns über den Sammlungs- und hoffentlich bald auch Ausstellungszugang der besonderen Art!

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