Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Montag, den 31. August 2015 um 08:48 Uhr

Als am Ende des 19. Jahrhunderts das Fahrrad seinen Siegeszug antrat, schossen überall in Europa Fahrradfabriken aus dem Boden. Neben vielen unternehmerischen Neugründungen betätigten sich auch etablierte Maschinenbauer auf diesem neuen Markt. Oft bauten die Fahrradfabrikanten auch Motorräder (was nahe liegt) oder Nähmaschinen (worauf man erstmal kommen muss). Die drei Hersteller, für deren Produkte auf unserem Bild so elegant an einem Lattenzaun geworben wird, durften sich bald zu den Marktführern in Deutschland zählen. Die Bielefelder Firma Göricke stellte seit 1895 Fahrräder her, Corona-Fahrräder wurde seit 1891 in Brandenburg an der Havel zusammen- geschraubt und seit 1896 produzierte man in Radevormwald Fahrräder mit dem Namen Bismarck.

Der hochbetagte Kanzler a.D. bestieg zwar bis in seine letzten Lebensjahre noch den Rücken seines Pferdes, dass er aber jemals eine Fahrradfahrt unternommen hat, ist nich überliefert (und darf getrost bezweifelt werden). Sicherlich hat er aber sein Placet zur Namensgebung der rheinischen Fahrradfabrik gegeben. Auf ein weiteres Prudukt mit seinem Namen kam es schließlich nicht mehr an, nachdem bereits Rasierklingen, Heringe, ein Schnaps, Zigarren usw. nach ihm hießen. Bis in die 1980er Jahre wurden in Radevormwald noch Fahrräder gebaut. Der Name „Bismarck“ wirkt bei den letzten Modellen aus heutiger Sicht etwas skurril. Ein Bonanza-Rad mit dem Namen des Altkanzlers? Ein Mountainbike in Erinnerung an den Reichsgründer? Die hat es tatsächlich gegeben, wenn sie auch etwas aus der Zeit gefallen waren.

Hochmodern waren hingegen die 28-Zoller auf unserem Bild aus Oldenburg. Den dortigen Fahrradhändler „Vosgerau“ (schwacher Schriftzug am Zaun links über „Göricke“) am Damm 25 gibt es seit 1893. Zu Gründungszeiten hieß es: „Meister Vosgerau macht Hufbeschlag und Wagenbau“, bevor man dann um 1900 begann, trendy Fahrräder anzupreisen. Der Technikhistoriker Dr. Andreas von Seggern vom Stadtmuseum Oldenburg datiert dieses Bild aus seinen Archivbeständen auf diese Gründerjahre des Fahrradhandels (vielen Dank für die Fotografie!). Das Geschäft mit den Miele, Panther, Opel, Patria, NSU, Brennabor und eben auch Bismarck scheint durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch gut gelaufen zu sein. Immerhin fünf Mitarbeiter hat der Nachfahre des Gründers im Moment. Wer je als Fußgänger in Oldenburg unterwegs war, weiß auch, was die Geschäftsgrundlage ist: Eine extrem fahrradaffine Einwohnerschaft, die mit dem Selbstbewusstsein sizilianischer Taxifahrer alle anderen Verkehrsteilnehmer mit souveräner Nichtachtung straft. Holland ist nicht mehr weit, das spürt man in Deutschland sonst nur in Münster so deutlich!

Als der Historiker und Parlamentarier Heinrich von Sybel gemeinsam mit dem Landrat Christoph von Tiedemann in Otto von Bismarcks Friedrichsruher Schlafzimmer die Dimension des Nachtgeschirrs bemerkte, soll er spontan ausgerufen haben: „Es ist doch alles groß an dem Mann, selbst die S…“ Würde man diesen Gigantismus für bare Münze nehmen, könnte man auch annehmen, die jüngste Dauerleihgabe unseres Hauses sei ein Rasierspiegel Bismarcks gewesen.

Tatsächlich handelt es sich um einen opulenten Wandspiegel. Bismarck hat ihn, nach glaubhafter Überlieferung, seinem Leibarzt Ernst Schwenninger zum Geschenk gemacht. Schwenningers Nachfahren haben ihn der Otto-von-Bismarck-Stiftung nun als Leihgabe zur Verfügung gestellt und es gibt schon verschiedene Ideen, wo und wie das beeindruckende Möbel in die geplante neue Dauerausstellung integriert werden kann. Wir werden rechtzeitig informieren und danken herzlich nach Ahrensburg und Bettenfeld.

In der Zwischenzeit können die Mitarbeiter der Otto-von-Bismarck-Stiftung in der Bibliothek den korrekten Sitz ihrer Dienstkleidung  überprüfen!

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Dienstag, den 25. August 2015 um 12:26 Uhr

In den 1880er Jahren rechneten die Großmächte Europas mit dem Staatsbankrott einiger Südstaaten. Unter ihnen befand sich auch Spanien, das noch über einen großen Kolonialbesitz verfügte. Auch in Berlin hatte man die Staatsfinanzen Madrids im Auge und wäre bereit gewesen, sich bei Gelegenheit ein Stück vom spanischen Kuchen abzuschneiden. Von den Kolonien wohlgemerkt, nicht vom europäischen Kernland. Und zu dem zählten  seit dem Mittelalter auch die Balearen.

Für Bismarck wäre es also unvorstellbar gewesen, dass sich auf Mallorca einmal Zehntausende Deutsche gleichzeitig befinden und manche von ihnen immer wieder einmal seinen Namen aussprechen würden. Heute ist das so, wenn auch gänzlich anders als im 19. Jahrhundert vorstellbar. Eine Bildeinsendung zeigt, dass man auf der Schinkenstraße an der Playa de Palma im Restaurant Bamboleo zum Kaltgetränk einen „Bismarck H. Matjes“ für 2,90 Euro bestellen kann. Etwas merkwürdig ist die Fischeinlage des Brötchens schon, denn ein Bismarck-Hering ist kein Matjes. Aber wen stören solchen Petitessen, wenn er fern der Heimat eine bekannte, herzhafte Speise zum kleinen Preis angepriesen bekommt? Wir sagen: Wohl bekomm’s!

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Mittwoch, den 12. August 2015 um 08:41 Uhr

Veranstaltet von der Otto-von-Bismarck-Stiftung (Friedrichsruh) gemeinsam mit dem Institut für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften (Universität Münster),dem Europäischen Institut für interkulturelle und interreligiöse Forschung (Triesen/Liechtenstein) und der Evangelische Akademie Frankfurt am Main

Entgegen einer langlebigen Legende war der „Kulturkampf“ genannte Konflikt zwischen Staat und Kirche weder auf Preußen noch auf die 1870er/1880er Jahre beschränkt. Er begann vielmehr bereits im Vormärz und reichte in einigen europäischen Ländern bis weit ins 20. Jahrhundert. Das Massaker von Srebrenica 1995 und die Attentate islamistischer Terroristen in Paris und Brüssel 2014/15 werfen die Frage auf, ob das „Zeitalter der Kulturkämpfe“ (Manuel Borutta) tatsächlich beendet ist.

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Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Dienstag, den 11. August 2015 um 09:57 Uhr

In Waren an der Müritz verläuft östlich des Stadtzentrums, direkt am Ufer die Gerhart-Hauptmann-Allee. Eine der besten Adressen an Deutschlands größtem Binnensee, spontan zählt der Vorbeikommende seine Enkel und singt den Refrain von Peter Fox 2008er Sommerhit „Haus am See“.

In Sommerlaune habe ich dort Ende Juli ein Haus entdeckt, dessen Name die Gedanken von Cocktails und Cricket auf dem Rasen direkt zur einstigen nationalistischen Heldenverehrung lenkten. Die Ursache dieses assoziativen Themenwechsels waren die Jahreszahl „1912“ und 13 braune Frakturbuchstaben: „Friedrichsruh“.

Der Name spricht unmissverständlich für eine Nähe des einstigen Besitzers zum 14 Jahre zuvor verstorbenen Reichsgründer Bismarck. Ob das Haus wohl zu DDR-Zeiten auch so hieß? Ein Ortsname war möglicherweise unverdächtig, die einstige Kanzler-Konnotation war vielleicht in der Mecklenburgischen Weite vergessen. Deutlich sichtbar wurde der Schriftzug wahrscheinlich erst nach der Sanierung der Villa vor einigen Jahren. Die meisten Einheimischen und Müritztouristen dürften über ihn hinweg lesen und nicht an den einst mythisch verehrten Bismarck und dessen letzten Wohnort denken.

Durch meine déformation professionelle als Historiker beschlich mich aber sofort ein merkwürdiges Gefühl. Denn schließlich hatte ich auf meiner Radtour schon wenige hundert Meter zuvor eine massive Portion Kaiserreich verabreicht bekommen, und zwar aus dem Bereich der Kolonialgeschichte. Ist das südliche Mecklenburg also ein Hort positivistischer Erinnerungen an das 19. Jahrhundert? Eher nicht, weitere Kaiserreich-Reminiszenzen im öffentlichen Raum blieben auf der Umrundung der Müritz aus. Abgesehen von allgegenwärtigen Bismarck-Brötchen natürlich, überall neutralisiert zwischen Lachs, Saibling und Aal.

Geschrieben von Dr. Maik Ohnezeit am Montag, den 10. August 2015 um 12:19 Uhr

„inside Bismarck- eine szenische Intstallation“ von FACTORY Theater Produktionen e.V., unterstützt u.a. von der Otto-von-Bismarck-Stiftung

Mit: Florentine Weihe, Christian Nisslmüller, Guido Bayer, Text/Regie: Gaby Schelle, Dramaturgie: Andre Becker

Otto von Bismarck schreibt seine Memoiren und feilt akribisch an seinem Bild für die Nachwelt. Seine Ehefrau Johanna jedoch führt ihn zurück in die Zeit vor ihrer Hochzeit und wir begegnen einem jüngeren Bismarck, der der Idealvorstellung ganz und gar nicht entspricht. 23 Jahre alt, geplagt von innerer Zerrissenheit, enormen Schulden und einer Abscheu vor dem herrschenden bürokratischen System kämpft er um einen Sinn in seinem Leben. In Johanna findet er eine verwandte Seele. Sie vermag den vielen spöttischen, ironischen, bildgewaltigen Stimmen in Bismarcks Innerem zuzuhören. In vielen Kämpfen um Wahrheit und Lüge, Liebe und Politik, Religion, Natur und Poesie, dokumentiert in ihren Briefen, schließen die beiden einen Pakt. Der berühmte, aber kaum bekannte Briefwechsel zeigt uns einen radikal anderen Bismarck und fügt unserer Vorstellung von ihm eine neue, überraschend moderne Facette hinzu.

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