„Die Öffentlichkeit war für den Reichstag ein entscheidender Motor seiner politischen Bedeutung, und mit Blick auf diese Wirkung kommunizierten die Abgeordneten auch.“ Prof. Dr. Thomas Mergel zeigte in seinem Vortrag die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland auf, die im Zusammenspiel von politischer Arbeit und Medienberichterstattung vorangetrieben wurde.
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In der historischen Forschung zum Deutschen Kaiserreich wird die Arbeit des Reichstags überwiegend kritisch betrachtet: Die Parlamentarier hätten zu wenig Einfluss auf die Regierungsbildung gehabt und seien infolgedessen nicht an eine verantwortungsvolle Rolle in der Politik gewöhnt worden. Diese Kritik sei nicht unberechtigt, so die These von Prof. Dr. Ute Daniel. Doch sie unterlasse vergleichende Blicke auf andere Zeiten und Parlamente, die eine fundierte Beurteilung erst ermöglichten. Weiterlesen

Das Reichstagsgebäude in Berlin. Fotografie, 1895.
„Bismarcks wichtigste Bühnen waren der Preußische Landtag und der Reichstag, dennoch hat er die Parlamente geringgeschätzt“. Dr. Ulf Morgenstern, Geschäftsführer unserer Stiftung, eröffnete die Tagung „Reichstag revisited“ (9.-10. Oktober 2025) im Reinbeker Schloss mit einem kurzen Blick auf die Haltung des ersten Reichskanzlers gegenüber den gesetzgeberischen Verfassungsorganen, die er selbst mitgeschaffen hatte. Eingeladen waren Historikerinnen und Historiker, die ihre Forschungen zur vergleichenden Parlamentarismusgeschichte des Deutschen Kaiserreichs vorstellten. Bismarck wurde dabei nicht als der Einzige sichtbar, der zu den Volksvertretern ein zwiespältiges Verhältnis pflegte.

Die Sonderausstellung zeigt in drei Sektionen die Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland.
Am Sonntag eröffnen wir im Bismarck-Museum Friedrichsruh die neue Sonderausstellung über „Parlamentarismus und demokratische Kultur im Deutschen Kaiserreich“. Vorangegangen sind Überlegungen und Diskussionen über die Zeitspanne, die abgebildet wird, sowie zu den thematischen Gewichtungen. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass es heute als selbstverständlich gilt, dass wir Deutschen auf Bundes-, Landes- und auf kommunaler Ebene in freien Wahlen unsere politischen Repräsentanten bestimmen können. Doch das war nicht immer so: 200 Jahre lang haben Reformer und Revolutionäre für die repräsentative parlamentarische Demokratie gekämpft und sie weiterentwickelt.

Eine Soiree bei Bismarck. Holzschnitt nach einer Zeichnung von C. Rechlin Sohn, in: Über Land und Meer. Allgemeine Illustrierte Zeitung Nr. 9, 1874
Verhandlung, Verständigung, Kompromiss – lassen sich diese drei Begriffe heranziehen, um die Regierungspraxis in den Jahren von 1871 bis 1890 zu beschreiben? Reichskanzler Otto von Bismarck bevorzugte zwar zweifellos „eine Monopolisierung der Entscheidungskompetenz in seiner Person“ (Wolfram Pyta). Aber die Autorin und die Autoren des Bandes „Entscheidungskulturen in der Bismarck-Ära“ zeigen auf Basis der soziologischen Entscheidungstheorie, dass der politische Alltag von deutlich mehr Akteuren mitbestimmt wurde. Der Band geht auf eine gleichnamige Tagung zurück, die im September 2022 unter der Leitung der Herausgeber Ulrich Lappenküper und Wolfram Pyta im Historischen Bahnhof Friedrichsruh stattfand.
Markierte die Reichsgründung den Anfang vom Ende der Geschichte Preußens? Oder hat Preußen das Deutsche Kaiserreich dominiert? Lennart Bohnenkamp (TU Braunschweig) schlägt mit seiner Forschung einen Mittelweg ein und zeigt an konkreten Beispielen, wie in der „doppelten Hauptstadt“ Berlin zwischen 1867 und 1918 regiert wurde. Als charakteristisch arbeitet er die „verdoppelten politischen Persönlichkeiten“ heraus: Der preußische König war zugleich Deutscher Kaiser, der Ministerpräsident fast ununterbrochen auch Reichskanzler, zahlreiche Parlamentarier saßen im Preußischen Landtag und im Reichstag. Bereits in der Bismarck-Ära klagten Amts- und Mandatsträger zwar über die Doppelbelastung, die Verknüpfung der Entscheidungen auf Reichs- und Landesebene funktionierte aber politisch. Dies sollte sich ändern, nachdem die Ergebnisse der Reichstags- und der Abgeordnetenhauswahlen – bedingt durch die unterschiedlichen Wahlsysteme – immer stärker auseinanderdrifteten. „Der Zwang, mit zwei Parlamenten verschiedener Zusammensetzung und entgegengesetzter Gesinnung zu arbeiten, mußte jede Regierung in lähmende Halbheiten verstricken“, urteilte der damalige Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg in der Rückschau.
Der Vortrag fand am 7. Dezember 2023 im Historischen Bahnhof Friedrichsruh statt. Titelbild unter Verwendung einer Fotografie, die Flaneure vor dem Berliner Reichstagsgebäude und der Statue des ersten Reichskanzlers Otto von Bismarck zeigt, um 1900.

„Rudolph Virchow. Nach einer für die Gartenlaube gefertigten Photographie“, in: Die Gartenlaube 1862, Heft 47, Seite 749
Als Pathologe und Anatom, Anthropologe und Prähistoriker war er unter seinen Zeitgenossen eine Ausnahmeerscheinung. Wissenschaftsgeschichtlich gilt der Ruf Rudolf Virchows noch heute als exzellent: Er entdeckte mit Anfang Dreißig die Zelle als kleinste Einheit des Organismus und beriet als führender Hygieniker seiner Zeit deutsche und ausländische Behörden – Cholera und Tuberkulose, ja sogar Lepra gehörten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch zu den wiederholt auftretenden Epidemien in Europa. Zugleich war er bestrebt, seine medizinischen Forschungsergebnisse für die Schaffung einer sozialen Medizin einzusetzen. Virchow stand, etwas zugespitzt, am Anfang unserer heutigen modernen klinischen Forschungs- und Versorgungsmedizin.
Die Persönlichkeit Virchows war zudem von einer weiteren Facette geprägt: Als linksliberaler Politiker stritt er über Jahrzehnte für die parlamentarisch-demokratische Ausgestaltung Deutschlands und rieb sich dabei an seinem Antipoden Bismarck. Diese politische Betätigung soll hier im Mittelpunkt stehen, verbunden mit der dritten Sphäre des Privatmanns, Bürgers und sechsfachen Familienvaters.

„Fackelzug zu Ehren des Herzogs Friedrich in Kiel“, 1864.
Als eigenes Bundesland Teil eines geeinten Deutschlands werden – dieser politische Traum einer großen Mehrheit der Schleswig-Holsteiner schien im 19. Jahrhundert in zwei Phasen eine historische Möglichkeit zu sein: während der Revolution von 1848/49 und der sich anschließenden Schleswig-Holsteinischen Erhebung sowie kurz vor und nach dem Deutsch-Dänischen Krieg. Die Realität aber entwickelte sich (zunächst) anders. Die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein wurden zusammen mit dem Herzogtum Lauenburg mit der Übernahme der preußischen Verfassung im Oktober 1867 zur Provinz.
Der wiederholte Versuch, sich politisch zu behaupten, bildet den regionalspezifischen Kern der umfangreichen Analyse, die Tobias Köhler mit seiner Dissertation „Die Berichterstattung der schleswig-holsteinischen Presse anlässlich der Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Abgeordnetenhaus (1867 – 1881)“ vorlegt. Wie im Titel angezeigt, ist die Untersuchung der Wahlberichterstattung eingegrenzt auf die Phase zwischen der Wahl zum konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes und der Reichstagswahl 1881. Das Ende des Beobachtungszeitraums begründet Köhler mit mehreren Faktoren. Dazu gehören die „konservative Wende“ in der Politik von Reichskanzler Otto von Bismarck sowie die Heirat von Prinz Wilhelm von Preußen, dem späteren Kaiser Wilhelm II., mit Auguste Viktoria, der ältesten Tochter des ein Jahr zuvor verstorbenen Friedrich VIII. zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg – mit dieser Vermählung sei der Verbleib Schleswig-Holsteins bei Preußen in der öffentlichen Wahrnehmung besiegelt worden.

Eine Sitzung des Reichstags, Bismarck sitzt links im Bild auf der Regierungsbank. Nach der Natur aufgenommen von H. Lüders, als Schwarz-Weiß-Zeichnung erschienen in: Die Gartenlaube, 1874; der kolorierte Druck ist in der Dauerausstellung „Otto von Bismarck und seine Zeit“ zu sehen.
Emotionen, Zeitmanagement und Wissensvorsprung waren einige der Stichworte, mit denen in der vergangenen Woche auf einer zweitägigen wissenschaftlichen Konferenz in Friedrichsruh Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen von politischen Entscheidungen während der Regierungszeit Otto von Bismarcks untersucht wurden. Veranstaltet wurde die Konferenz unter dem Titel „Entscheidungskulturen der Bismarck-Ära“ von der Otto-von-Bismarck-Stiftung und dem Historischen Institut der Universität Stuttgart unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Lappenküper (Friedrichsruh) und Prof. Dr. Wolfram Pyta (Stuttgart).

Ludwig Windthorst
Anno 1878 trug sich im Deutschen Reichstag eine skurrile Geschichte zu: Während einer Sitzung erhob sich Reichskanzler Otto von Bismarck von seinem Platz und begann – für alle Abgeordneten gut sichtbar – mit Präsident Max von Forckenbeck ein eifriges Gespräch. Im selben Moment begab sich der Zentrumsabgeordnete Ludwig Windthorst von seiner Bank in die Richtung des Präsidentenstuhls. Aufgrund seiner extremen Kurzsichtigkeit war er offenbar ohne „Ahnung von dem, was sich da oben abspielt“, wie der Bonner Literaturwissenschaftler Berthold Litzmann Jahrzehnte später in seinem Buch über das „alte Deutschland“ zu berichten wusste. „Schon ist er […] bis auf zwei Schritte an die Gruppe herangekommen, als mit einem Male […] Bismarck aus seiner gebeugten Stellung sich aufrichtet […] und aus seinen grossen furchtbaren Augen den harmlosen Wanderer so dräuend mustert, wie etwa eine Riesendogge einen kleinen Pinscher […]. Jener macht dann auch vom Flecke weg kehrt“.
Ist es ein Zufall, dass eine auszugsweise Abschrift von Litzmanns Bericht als eines von nur zwei Schriftstücken über Windthorst den Weg in Bismarcks Nachlass fand? Wohl kaum! Obwohl beide Politiker sich gewiss viel zu sagen oder zu schreiben gehabt hätten, waren sie aufgrund eines tief ins Persönliche hineinreichenden politischen Zerwürfnisses zu einer normalen Kommunikation offenbar nicht fähig. „Mein Leben“, so eröffnete Bismarck einmal einem Mitarbeiter, „erhalten und verschönen zwei Dinge, meine Frau und – Windthorst. Die eine ist für die Liebe da, der andere für den Haß.“
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Heute gilt es als selbstverständlich, dass die Deutschen in freien Wahlen ihre Repräsentanten bestimmen können, die für sie politische Entscheidungen treffen. Doch das war nicht immer der Fall. Die repräsentative parlamentarische Demokratie musste in einem rund zweihundertjährigen Prozess im Rahmen von Reformen erreicht oder durch politische Umstürze erkämpft werden. Im Rahmen der Herausbildung des modernen Parlamentarismus in Deutschland nimmt das Deutsche Kaiserreich mit seinem Nationalparlament, dem Reichstag, eine zentrale Stellung ein. Dieser war – anders als die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 sowie das Erfurter Unionsparlament von 1850 – auf Reichsebene das erste Sprachrohr für „Volkes Stimme“, das von den Regierungen aller Bundesstaaten sowie der Bevölkerung anerkannt wurde.
In der Sonderausstellung „Volkes Stimme! Parlamentarismus und demokratische Kultur im Deutschen Kaiserreich“ wird an die parlamentarischen Traditionen in Deutschland erinnert. Im Mittelpunkt der Präsentation steht der Parlamentarismus im Kaiserreich. Dieses war zwar keine Demokratie, aber auch kein autokratischer Fürstenbund oder eine Diktatur – als ein Verfassungs-, Rechts- und Interventionsstaat war es ebenso durch überkommene obrigkeitsstaatliche Strukturen wie durch demokratische Elemente gekennzeichnet. Sichtbar wird die Gleichzeitigkeit von politisch-sozialer Modernität und Rückständigkeit.
Die Sonderausstellung ist in einigen Räumen des Bismarck-Museums in Friedrichsruh zu sehen. Weitere Informationen finden Sie in unserem Flyer:
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