Steuern und soziale Ungleichheit im Kaiserreich – Vortrag von Prof. Dr. Marc Buggeln

Die Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich und seinem größten Bundesstaat Preußen war um die Jahrhundertwende im europäischen Vergleich nicht auffällig ungleich. Diesen Befund stützt Prof. Dr. Marc Buggeln (Europa-Universität Flensburg) in seinem Vortrag auf die Auswertung von Steuerdaten und zeigt damit auf, welchen Einfluss die Steuergesetzgebung auf die Verringerung oder Vergrößerung der sozialen Ungleichheit nehmen kann.

Unter dem Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck galt eine sparsame Haushaltsführung, wobei sich der Staat auf Reichsebene unter anderem über indirekte Steuern und Zölle finanzierte. Preußen und die anderen Bundesstaaten erhoben direkte Steuern, die allerdings immer weniger zur Einkommensentwicklung passten. In der Ära nach Bismarck stiegen zudem die Staatsausgaben, vor allem auch durch die militärische Aufrüstung. Die Steuerbelastung der Armen wurde zunehmend als ungerecht und als Gefährdung des sozialen Friedens angesehen; die Befürchtung der Wohlhabenden wuchs, dass aus dem Elend eine Revolution entstehen könnte. Daher setzte der preußische Finanzminister Johannes von Miquel 1891/93 die Einführung einer progressiven Einkommens- und Vermögenssteuer durch. Diese Steuern trugen erstmals in Deutschland nach über 400 Jahren wachsender Ungleichheit zu deren Verringerung bei. Die höhere Besteuerung der Wohlhabenden führte durch das preußische Dreiklassenwahlrecht allerdings auch dazu, dass ihre Stimmen bei der Wahl größeres Gewicht erhielten. Je gerechter das Steuersystem in Preußen wurde, so Prof. Dr. Buggeln, desto ungerechter wurde das Wahlsystem.

 

Prof. Dr. Buggeln wurde für seine Habilitationsschrift mit dem Carl-Erdmann-Preis 2021 des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands ausgezeichnet:

Marc Buggeln
Das Versprechen der Gleichheit. Steuern und soziale Ungleichheit in Deutschland von 1871 bis heute
Berlin 2022

Titelbild unter Verwendung von: „Der Steuertag“, nach einem Ölgemälde von Hugo Oehmichen, in: Die Gartenlaube, Leipzig 1888