Friedrichsruher Zeugnisse der kolonialen Vergangenheit. Ein Rückblick auf den Neujahrsempfang

Dr. Ulf Morgenstern zeigte den besonderen Platz Friedrichsruhs in der deutschen Kolonialgeschichte auf. Eleonora von Bergen (Violine) und Rolf von Bergen (Gitarre) sorgten mit schwungvoller Musik für gute Stimmung.

Fotografien eines japanischen Prinzenpaares, die Otto von Bismarck 1887 vermutlich persönlich als Cartes de Visite überreicht wurden, Hölzer aus den Tropen, die der Journalist Eugen Wolf 1896 von seinen Reisen mit nach Friedrichsruh brachte, oder das 1955 in Aumühle errichtete Ostafrika-Denkmal – mit dem kleinen Ort im Sachsenwald sind zahlreiche höchst unterschiedliche Berichte, Dokumente und Objekte verbunden, die von der Rolle Bismarcks in der Global- und Kolonialgeschichte des 19. Jahrhunderts und deren Nachwirkungen zeugen. Dr. Ulf Morgenstern, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Otto-von-Bismarck-Stiftung, bündelte einige Beispiele in seinem Festvortrag „Ein blinder Fleck? Friedrichsruh als kolonialgeschichtlicher Erinnerungsort“. Dieser Vortrag stand im Mittelpunkt des Neujahrsempfangs, zu dem die Stiftung am vergangenen Freitag 100 Gäste begrüßte.

Erinnerungsort Friedrichsruh

„Die beiden Kanzler“ (zeitgenössische Bildunterschrift), Christian Wilhelm Allers hielt 1889 ostafrikanischen Besuch in Friedrichsruh fest; aus: C.W. Allers und Hans Kraemer: Unser Bismarck, Stuttgart, Berlin, Leipzig, 1894.

Die „Mikrogeschichte“, die Friedrichsruh zu einem vielschichtigen Erinnerungsort nicht nur der deutschen, sondern auch der Global- und Kolonialgeschichte macht, nimmt ihren Ausgangspunkt 1878, wie Morgenstern aufzeigte, als Otto von Bismarck begann, mehrere Monate im Jahr im Sachsenwald zu verbringen – über Telegraphen und die Bahnlinie mit der Hauptstadt verbunden. Er empfing Bewunderer und Lobbyisten, darunter auch die Hamburger Reeder und Kaufleute, die sich für die Einrichtung von Kolonien aussprachen. Obwohl sich der Reichskanzler zunächst daran nicht interessiert zeigte, stellte er zwischen April 1884 und Mai 1885 Gebiete in Afrika und Asien unter den Schutz des Deutschen Reiches, wie es damals hieß. Damit sei auch von Friedrichsruh aus Kolonialpolitik betrieben worden, sagte Morgenstern.

Aus dem Archiv der Stiftung und dem Bismarck-Museum stellte Morgenstern Objekte vor, die die Kolonialpolitik Bismarcks in vielen Schattierungen in einem engen Zusammenhang mit der Außen- und Globalpolitik im 19. Jahrhundert, aber auch mit dem Bismarck-Mythos zeigen. So könne ein Tischaufsatz, der einen Afrikaner mit weißer Pickelhaube zeige, nicht anders als Ausdruck der Unterdrückung gelesen werden. Schwieriger einzuordnen sei eine Serie von Fotografien, sagte Morgenstern, die die Niederlassung des Hamburger Kolonialunternehmens Jantzen & Thormählen im Kamerun zeigten. Sie seien von dem aus Sierra Leone stammenden Fotograf Francis Wilberforce Joaque aufgenommen worden und präsentierten dennoch ein geschöntes Bild der Lebensverhältnisse in den Kolonien. Morgenstern nannte auch das Beispiel einer Binnenkolonialisierung, das bei einer auf Afrika und Asien konzentrierten Erzählung aus dem Blick gerät: Deutsche Auswanderer besiedelten in Nordamerika auch die Territorien der indigenen Bevölkerung und nannten die Hauptstadt von North Dakota „Bismarck“.

Friedrichsruh war aber nicht nur ein Ort, von dem aus Politik gestaltet wurde, sondern auch über drei Generationen der Familie von Bismarck hinweg Anziehungspunkt politischer Prominenz. Dies verdeutlichte Morgenstern auch unter Hinweis auf die Einträge in den erhaltenen Gästebüchern des Museums aus den Jahren 1928 bis 1970. Otto von Bismarck empfing unter anderem 1889 eine Gesandtschaft des Sultans von Moshi im heutigen Tansania sowie 1896 den chinesischen General Li Hongzhang. 1953 wurde der griechische Reeder Aristoteles Onassis von der Familie von Bismarck in Friedrichsruh bewirtet, ebenso 1979 Taufaʻahau Tupou IV., König von Tonga. Ihm hatte zuvor Bundespräsident Walter Scheel das Modell der Korvette „Hertha“ geschenkt. Auf der „Hertha“ war 1876 ein „immerwährender Friedensvertrag“ zwischen Deutschland und Tonga unterzeichnet worden, der Tonga aber nicht davor bewahrte, nach Abtretung deutscher Ansprüche 1899 britisches Protektorat zu werden.

Die Zukunft der Stiftung

Die lauenburgischen Landtagsabgeordneten Uta Röpke (Bündnis 90/Die Grünen, l.) und Andrea Tschacher (CDU) gehörten zu den Gästen der Otto-von-Bismarck-Stiftung.

Die Stiftung widmete ihren Neujahrsempfang damit einem aktuellen Debattenthema und folgte so ihrem Anspruch, in ihrer demokratiegeschichtlichen Bildungsarbeit immer auch gegenwartspolitische Bezüge einzubinden. Welche materiellen Voraussetzungen dafür notwendig sind, betonte der Vorstandsvorsitzende Norbert Brackmann bei der Begrüßung der Gäste. Erfreulich sei, dass die Stiftung vom Bundestag die Zusage über 3,6 Millionen Euro erhalten habe, um ihre Arbeit am zweiten Standort in Schönhausen/Elbe, dem Geburtsort Bismarcks, wirkungsvoll auszubauen. Diese Förderung komme damit dem einzigen Standort einer Politikergedenkstiftung in den neuen Bundesländern zugute. Brackmann formulierte zudem die Hoffnung, dass die Stiftung auch aus Friedrichsruh das machen könne, was es verdiene. Dazu würden Gespräche mit dem Haus der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien geführt, um die Sanierung des Bismarck-Museums und die Einrichtung einer neuen Dauerausstellung finanziell sicherzustellen.

Auch Dr. Rüdiger Kass, der im Dezember 2021 als Vorstandsvorsitzender der Stiftung ausschied, und die Vorsitzende des Fördervereins Dr. Pauline Puppel betonten in ihren Grußworten, dass Otto von Bismarck als Staatslenker und -denker nicht ausgeforscht sei, und schrieben der Arbeit der Stiftung eine weiterhin große Bedeutung zu. Musikalisch umrahmt wurden die Ansprachen und der Vortrag von Eleonora von Bergen (Violine) und Rolf von Bergen (Gitarre).