Im Schatten des Staatsmanns. Neues Buch über Johanna, Marie und Marguerite von Bismarck

Silvester im Hause Bismarck mit Marie (mittlere Dame am Tisch), ihrer Mutter Johanna (rechts von ihr) und Schwägerin Marguerite (schräg hinter Otto von Bismarck stehend), Fotografie von Karl Hahn, Friedrichsruh, 31. Dezember 1891 (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

In der geschichtswissenschaftlichen Forschung spielen die Frauen aus dem familiären Umfeld eines Politikers zumeist keine Rolle. Dr. Andrea Hopp (Otto-von-Bismarck-Stiftung Schönhausen) schließt mit ihrem Buch „Im Schatten des Staatsmannes“ diese Lücke beispielhaft mit den Biografien von Johanna, Marie und Marguerite von Bismarck. Die Ehefrau Otto von Bismarcks, seine Tochter und seine Schwiegertochter gehören drei aufeinander folgenden Generationen an und zeigen sich dennoch in ihren Briefen und überlieferten Gesprächen durch eine grundsätzliche Lebenseinstellung miteinander verbunden.

Jeder der drei Frauen ist ein eigenes, umfangreiches Kapitel gewidmet. Hopp hat damit ihrem Buch eine Struktur gegeben, die eine Vertiefung in die jeweilige Biografie zulässt und Raum bietet für Differenzierungen und Details, die sich auf den umfangreichen Fundus vor allem der Archive der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh und Schönhausen, des Bundesarchivs und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz stützen. Jede der drei Frauen zeigt sich als widersprüchlicher Charakter.

Johanna von Bismarck

Otto von Bismarck und die aus Pommern stammende Johanna von Puttkamer heirateten am 27. Juli 1847. Gefunden hatten sich zwei Menschen, die sich in vielerlei Hinsicht nahestanden, sie teilten adeligen Standesstolz und konservative Ansichten, formulierten ihre Ansichten gerne ironisch und unterschieden scharf zwischen Freund und Feind. Hopp zeigt auf, dass Johanna von Bismarck sich und ihren Mann gerne in einer behaglichen, landadeligen Existenz als Gutsbesitzer gesehen hätte. Aber sie musste sich seinem Willen, politisch Karriere zu machen, fügen, wurde zunächst Diplomatengattin in Frankfurt und St. Petersburg, dann Frau des preußischen Ministerpräsidenten und ersten Reichskanzlers, dem sie durch die Organisation von Familie, Haushalt und heimischer Geselligkeit den Rücken freihielt.

Johanna von Bismarck erfüllte damit die Rollenvorstellungen, erläutert Hopp, die an adelige und bürgerliche Frauen im 19. Jahrhundert gestellt wurden. Die ausgewerteten Dokumente zeigen, dass sie es dennoch verstand, ihr Leben im gesellschaftlich vorgegebenen und von ihr befürworteten Rahmen zu gestalten. Repräsentationspflichten übertrug sie gerne ihrer Tochter Marie und kümmerte sich auch um die Finanzen der Familie. Mit ihrem Mann tauschte sie sich nicht nur über das eigene, engere soziale Umfeld aus, sondern auch über politische Akteure. „Ein Studium ihrer hinterlassenen Briefe legt nah“, schreibt Hopp, „dass es vor allem Johanna war, die Liebe und Hass zu Leitkategorien des alltäglichen Lebens erhob. Ihrem Kommunikationsstil entsprach es, sich mittels dieser polarisierenden Gefühle zu artikulieren – nicht nur, aber auch in politischer Hinsicht.“ Ihr Denken und Handeln blieben auf den Ungleichheitsprinzipien der altpreußischen ostelbischen Adelswelt basiert, die – so ist es herauszulesen – Johanna von Bismarck als natürliche Ordnung erschien. Für die demokratischen Spielregeln, die sie von der Zuschauertribüne aus im Reichstag beobachten konnte, so schildert es ihre Biografin, hatte sie nur Verachtung übrig.

Ihre Biografien stehen im Mittelpunkt des Buches: Johanna (Foto um 1893), Marie (um 1875) und Marguerite (1895).

Marie zu Rantzau

Das zweite Kapitel widmet Hopp der Tochter von Otto und Johanna von Bismarck, Marie. Die Erstgeborene litt seelisch wie körperlich unter dem an sie und ihre beiden Brüder Herbert und Wilhelm von den Eltern gestellten Anspruch, das eigene Leben in den Dienst der politischen Karriere des Vaters zu stellen. Bereits als Mädchen hatte Marie in der Familie früh das Nachsehen, ihre schulische Ausbildung durch einen Hauslehrer wurde – keineswegs unüblich – nach dem Wechsel der Brüder auf das Gymnasium abgebrochen. Ihr Ehemann Kuno zu Rantzau wurde mit der Heirat in das „System Bismarck“ eingegliedert, erläutert Hopp, womit ihr selbst der Weg hin zu mehr Selbstbestimmtheit verbaut schien. Marie zu Rantzau tritt in ihren Briefen und den Schilderungen Dritter als – ihrer Mutter hier ähnliche – oftmals arrogante, vor allem aber unsichere Frau auf, unfähig, wenigstens im gesellschaftlich vorgesehenen Rahmen ihrer Adelswelt eine eigene Rolle zu finden. Sie flüchtet sich im wahrsten Wortsinn in den Kummerspeck. Die quellengesättigte Schilderung dieses Lebenswegs lässt Befremden über die Eltern aufkommen: Deren Verständnis der Rollen ihrer erwachsenen Kinder im familiären Gefüge ließ sich deren Wohlergehen mindestens teilweise übersehen. Die tradierten sozialen Verhältnisse der preußischen Adelswelt, die auch von Marie zu Rantzau akzeptiert und gerechtfertigt wurden, erscheinen in den Schilderungen Hopps als Korsett, in dem das (weibliche) Individuum feststeckt.

Marguerite von Bismarck

Die Protagonistin des dritten Hauptteils ist Marguerite von Bismarck, Ehefrau von Herbert und Schwiegertochter von Otto und Johanna. Sie erlebte Kaiserreich, Weimarer Republik und NS-Regime. Hopp zeigt, dass diese Systemwechsel und insbesondere der Umbruch von der Monarchie zur Demokratie nichts an ihrer Lebenseinstellung veränderten. Sie hielt an ihrer „Zugehörigkeit zur Sozialformation Adel“ fest und blieb dabei, „alle ihr zufallenden Aufgaben besonders akkurat zu erfüllen“. Dazu zählte für sie insbesondere die Pflege des Bismarck-Mythos und eine Aufsicht über die Publikationen, die über ihren verstorbenen Schwiegervater auf der Basis jener Dokumente erscheinen sollten, die sich in Familienbesitz befanden. Marguerite von Bismarck hatte sich, so macht die Beschreibung ihrer Biografie deutlich, mit der Einheirat in die Familie von Bismarck einer Lebensaufgabe angenommen, der sie treu blieb – gepaart mit adligem Standesdünkel, antijüdischen Ressentiments und Verachtung für die Demokratie, die sie dem NS-Regime gegenüber 1933 eine positive Haltung annehmen ließ.

So unterschiedlich diese drei Frauen gewesen sein mögen, identifiziert Hopp sie doch in wesentlicher Hinsicht als gleichgesinnt: „Es war gleichgültig, ob Johanna in Wut ausbrach oder Marie und Marguerite die Nase voll Abscheu rümpften, um konservative Aversionen gegen die Moderne, die ihnen ihren angestammten Platz streitig machte, in polarisierender Absicht vorzubringen. Sie alle taten es zu demselben Zweck statuskonservierend und -verteidigend, wie von ihnen erwartet.“

 

Andrea Hopp
Im Schatten des Staatsmanns. Johanna, Marie und Marguerite von Bismarck als adelige Akteurinnen (1824–1945)
Paderborn 2022 (Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaftliche Reihe, Band 30)


Einen ausführlichen Beitrag über Otto von Bismarck und seine Familie bietet die Bismarck-Biografie mit dem Beitrag Familiäres Bollwerk.