Bismarck-Kult auf Zelluloid. 1913 wurde der erste Spielfilm über den Reichskanzler gedreht
„Unsympathisch ist mir die Sache ja überhaupt in höchstem Maße“, schrieb Sybille von Bismarck im Juli 1913 an ihre Schwägerin Marguerite in Friedrichsruh. Die beiden verwitweten Schwiegertöchter des ersten Reichskanzlers waren mit dem Ansinnen der Berliner Filmproduktionsfirma Eiko konfrontiert, die einen Spielfilm über den ersten Reichskanzler plante und um Erlaubnis bat, an dessen einstigen Wohnsitzen drehen zu dürfen. Einige Briefe, in denen dieses Projekt im Mittelpunkt stand, werden in unserem Archiv in Friedrichsruh aufbewahrt. Ausgewertet wurden sie von der Historikerin Maja Lobinski-Demedts, die nun das Buch „Bismarck im Film. Zum Wandel des Bismarck-Bildes in den Spielfilmen von 1914 bis 1942“ vorgelegt hat.
Die Vorbehalte der Familie Bismarck seien für jene Zeit nicht ungewöhnlich gewesen, erläutert Lobinski-Demedts. Das Kino sei damals gerade erst seiner Kinderstube – dem Varieté und den Volksfesten – entwachsen. Entsprechend habe es den höheren Ständen als unseriös gegolten, zumal sich in den neu entstandenen Kinos jeder eine leicht erschwingliche Eintrittskarte habe kaufen können.
Dem Regisseur William Wauer gelang es dennoch, das Wohlwollen von Marguerite von Bismarck für das Vorhaben zu gewinnen, auf dem Anwesen in Friedrichsruh zu drehen. Er versicherte ihr brieflich, dass an dem Film Bismarck. Bilder aus dem Leben des großen Kanzlers „als Mitwirkende fast ausschließlich Offiziere d.R. und a.D.“ teilnähmen, „ein Beweis für die patriotische Gesinnung, die dem Unternehmen zu Grunde liegt“.
Dieses Versprechen hielt dieser Stummfilm ein, die Historikerin beschreibt ihn als eine Fortsetzung des Bismarck-Kults mit modernen Mitteln: Durch „historische Zutaten“ – Anekdoten oder Originalschauplätze – wurde der Eindruck erweckt, dass die Wirklichkeit zu sehen ist. Lobinski-Demedts problematisiert diesen Effekt, weil damit eine Vereinfachung einhergehe: Aus den vielen und teilweise höchst widersprüchlichen Erzählungen über Bismarck, die aus Büchern bekannt und in der Erinnerung vieler lebendig geblieben waren, sei eine stringent erzählte (Helden-)Geschichte geworden.
Diese filmische Huldigung Bismarcks verfolgte einen besonderen Zweck: Mit dem Erlös aus den Einnahmen an der Kinokasse sollte am Rhein bei Bingerbrück ein Bismarck-Nationaldenkmal mitfinanziert werden, „gegen das sich das Hamburger Denkmal […] vergleichsweise bescheiden ausgenommen hätte“, so Lobinski-Demedts. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde dieses Projekt allerdings nicht weiterverfolgt.
Die Uraufführung des einstündigen Films Bismarck. Bilder aus dem Leben des großen Kanzlers fand am 7. Februar 1914 im Mozartsaal am Berliner Nollendorfplatz statt. Die Produktionskosten waren mit 40.000 bis 50.000 Mark verhältnismäßig hoch ausgefallen. Gespielt wurde Bismarck von dem Hofschauspieler Franz Ludwig.
Die Historikerin Lobinski-Demedts hat in den Archiven zahlreiche sehr positive Kritiken gefunden. Auch die Musik von Ferdinand Hummel, Musikdirektor am Königlichen Schauspielhaus Berlin wurde hochgelobt – es war eine der ersten Originalkompositionen für einen Film überhaupt. In der Zeitschrift Kinematograph hieß es beispielsweise: „Der Bismarckfilm wird durch die beste und wirkungsvollste Musikbegleitung unterstützt, die je zu einem Film geschrieben wird.“ Gezeigt wurde er bis 1919 immer wieder, in Kinos ebenso wie in Zirkuszelten, in Deutschland, Österreich und sogar in Konstantinopel. Und so hat Bismarck – oder vielmehr dieser filmische Beitrag zu seinem Mythos – dem noch jungen deutschen Film zu weiterer Popularität verholfen.
Die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen archiviert und vermittelt das audiovisuelle Erbe. Auf der Website werden Einblicke in die Sammlung geboten, zu sehen sind beispielsweise einige historische Aufnahmen unter dem Titel „1905–1918: Erste Kinos im Kaiserreich“. Das 16. Bild zeigt den Mozartsaal, in dem der Bismarck-Film uraufgeführt wurde.
Filmportal.de hat eine Chronik des deutschen Films veröffentlicht.
Einen kurzen Überblick über die Anfänge des deutschen Films vermittelt Robin Brunold in seinem Blogbeitrag „Geliebtes „Teufelszeug“ – Die Anfänge des Kinos & des Films im Deutschen Kaiserreich“
Das Buch:
Maja Lobinski-Demedts
Bismarck im Film. Zum Wandel des Bismarck-Bildes in den Spielfilmen von 1914 bis 1942
Bremen 2021
Weitere Literatur:
Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler (Hg.)
Geschichte des deutschen Films
Stuttgart 2004 (2. aktualisierte und erweitere Auflage)