Es rauscht, aber sie ist zu hören: Bismarcks Stimme

Stephan Puille demonstrierte, wie der Phonograph aus unserer Dauerausstellung funktioniert.

Vor 130 Jahren kam es zu einer einzigartigen Tonaufnahme: Adelbert Theodor Wangemann nahm am 7. Oktober 1889 in Friedrichsruh mit einer sensationellen neuen Erfindung, dem Phonographen, Bismarcks Stimme auf. Der NDR wird mit dem Beitrag „Die Wiederentdeckung von Bismarcks Stimme“ in der Reihe „Zeitreise“, die immer sonntags im Schleswig-Holstein-Magazin gezeigt wird, am 1. Dezember an dieses historische Ereignis erinnern. Die Dreharbeiten dazu haben im Historischen Bahnhof Friedrichsruh stattgefunden. Prof. Dr. Ulrich Lappenküper, Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung, und der Tonhistoriker Stephan Puille, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, erzählten dem Fernsehteam von der Aufnahme, ihrer Wiederentdeckung und ihrer historischen Bedeutung.

„Allons enfants de la Patrie / Le jour de gloire est arrivé / Contre nous de la tyrannie / L’étendard sanglant est levé“ – Die erste Strophe der Marseillaise ist, trotz des lauten Rauschens der Walze, nicht zu überhören. Die deutschen Zeitungen aber erwähnten damals, im Jahr 1889, mit keiner Silbe, dass Otto von Bismarck für diese Tonaufnahme ausgerechnet die französische Nationalhymne zitierte. Dabei sei sie nicht zufällig ausgewählt worden, ist sich Prof. Dr. Ulrich Lappenküper sicher: „Bismarck drückte damit seine Wertschätzung für die Französische Republik aus.“ Dies passe zu den wiederholten Versuchen des ersten Reichskanzlers, die Wunde, die auf beiden Seiten durch den Krieg 1870/71 entstanden sei, durch Kooperation zu heilen.

Prof. Dr. Ulrich Lappenküper präsentierte dem Fernsehteam Dokumente aus dem Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung. Dazu zählte ein Brief Johanna von Bismarcks an ihren Sohn Herbert, in dem sie von der Tonaufnahme berichtete.

Erfunden hatte diesen Phonographen – eine Apparatur zur Aufnahme und zum Abspielen von Tönen – der US-amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison im Jahr 1877. Nach einigen Weiterentwicklungen – so war die Walze inzwischen nicht mehr aus Zinnfolie, sondern aus einem wachsähnlichen Material – schickte er 1889 seinen aus Berlin stammenden Assistenten Wangemann damit über den Atlantik. Nach Vorführungen auf der Weltausstellung in Paris und vor deutschen Wissenschaftlern bemühte dieser sich dann um den Kontakt zu bedeutenden Persönlichkeiten, um deren Stimmen aufzunehmen.

In Friedrichsruh ließ sich Bismarck das Gerät vorführen und zu einer Aufnahme überreden, auch von seiner Frau Johanna, die von dieser neuen technischen Möglichkeit begeistert war und auch selbst eine – verschollene – Walze besprach. Die Aufnahme der Stimme der ersten Reichskanzlers spielte Wangemann später Graf Helmuth von Moltke vor, der die Stimme Bismarcks erkannte und selbst vier Walzen besprach, von denen heute noch zwei erhalten sind. Ihnen kommt ein besonderer historischer Stellenwert zu: Nur auf ihnen ist die Stimme eines im 18. Jahrhunderts geborenen Menschen zu hören. Musikliebhabern dürfte bei einer anderen Aufnahme das Herz aufgehen – Johannes Brahms persönlich spielt den „Ungarischen Tanz Nr. 1“ auf dem Klavier. Diese Walze sei, so Stephan Puille, bereits in den 1930er-Jahren auf Schallplatte überspielt und später digitalisiert worden. Die originale Walze habe bei Experimenten während der NS-Zeit irreparablen Schaden genommen.

Thomas Alva Edison bei der Vorführung seines Zinnfolienphonographen, um 1877

Viele der Walzen galten lange Zeit als verschollen. 1957 wurde zwar in Edisons Bibliothek, die nun Teil des damals neu gegründeten Thomas Edison National Historical Park in West Orange, New Jersey, war, eine Holzkiste mit Phonographenwalzen entdeckt. Diese wurden aber einfach nur im Museumsdepot untergebracht und später katalogisiert. Erst 2011 kam es zur Wiederentdeckung: Nachdem die Aufnahmen digitalisiert worden waren, konnte Stephan Puille, der als Tonhistoriker hinzugezogen wurde, die Stimme Bismarcks eindeutig identifizieren.

Bismarck gab mit der Aufnahme zugleich eine Kostprobe seiner Mehrsprachigkeit: Auf die ersten Zeilen des Volksliedes „In Good Old Colony Times“ folgt der Anfang der Heldenballade „Schwäbische Kunde“ von Ludwig Uhland von 1814, einige Zeilen des lateinischen Studentenliedes „Gaudeamus igitur“, dann die erwähnte erste Strophe der Marseillaise und schließlich eine Aufforderung an seinen Sohn, sich sittlich zu betragen. Diese Nachricht sei der erste phonographische Brief der Geschichte, erklärte Stephan Puille dem Fernsehteam. Wangemann hatte Bismarck berichtet, dass er nach Budapest weiterreisen werde, wo sich Bismarcks Sohn Herbert aufhielt – und so wusste der Vater, dass die Nachricht seinen Sohn erreichen würde.

Edisons Erfindung und vor allem die Aufnahme der Stimme Bismarcks inspirierten prompt die Karikaturisten. Der Floh, Wien, rühmte am 20. Oktober 1889 den europäischen Phonographen, denn der „war lange schon vor dem amerikanischen da und leistet Überraschenderes als Edison’s Wunderapparat. Denn dieser gibt doch nur die Stimme zurück, die hineingesprochen hat, bei dem europäischen Phonographen mag aber hineinreden wer will – immer spricht doch nur die e i n e Stimme heraus.“

Bismarck hatte sich damit dem Ansinnen Wangemanns verweigert, eine politische Botschaft zu sprechen. Lieber habe er sich als polyglotter Staatsmann gezeigt, erklärte Prof. Dr. Ulrich Lappenküper, der mit einem Augenzwickern einen Ausflug in fremde Sprachen und damit in fremde Kulturen unternommen habe. Die gesamte Aufnahme kann auf unserem YouTube-Kanal und in der Dauerausstellung „Otto von Bismarck und seine Zeit“ im Historischen Bahnhof angehört werden, dort ist auch ein originaler Phonograph ausgestellt. Dieser stamme aus dem Jahr 1905, erläuterte Stephan Puille, sei technisch ausgereift gewesen und habe nur noch die Hälfte der 25 Kilogramm gewogen, die der Phonograph der Bismarck’schen Zeit an Gewicht gehabt habe. Das NDR-Team konnte sich überzeugen, dass das Ausstellungsstück immer noch funktioniert: Abgespielt wurde eine von zehn Kopien der originalen Bismarck-Walze, die aus strapazierfähigerem Kunstharz gefertigt sind. Stephan Puille sieht den Wert dieser Aufnahme nicht nur in ihrer historischen Bedeutung und der Tatsache, dass sich jeder überzeugen kann, dass der erste Reichskanzler nicht wie oft nachgesagt eine Fistelstimme hatte, sondern ganz normal sprach. Von Bismarck gebe es unzählige Porträts, so der Tonhistoriker, aber diese Aufnahme eröffne eine neue Dimension: „Über die Stimme rückt man dem Menschen näher.“

Quellen:

Ulrich Lappenküper (Hrsg.)
„A clever instrument“. Der Edison-Phonograph und die Ton-Aufnahme Otto von Bismarcks vom 7. Oktober 1889
Friedrichsruh 2012 (Friedrichsruher Beiträge 43)

Ron Cowen
Restored Edison Records Revive Giants of 19th-Century Germany. Order Reprints
The New York Times, 30. Januar 2012

Library of Congress
History of the Cylinder Phonograph


Fotonachweis Thomas Edison: Brady-Handy photograph collection, Library of Congress, Prints and Photographs Division