Onkel Chlodwig – ein Reichskanzler mit ambivalenter Bilanz

Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst in seiner Straßburger Zeit

Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst in seiner Straßburger Zeit

Kein anderer deutscher Politiker des 19. und 20. Jahrhunderts war so lange in politischen Ämtern aktiv wie er: Über 50 Jahre diente Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst zunächst als bayerischer Abgeordneter und Ministerpräsident, seit 1871 als Reichstagsabgeordneter, Botschafter in Paris, Staatssekretär des Auswärtigen, Statthalter in Elsass-Lotheringen und schließlich ab 1894 – im Alter von 75 Jahren – als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. In seinem gestrigen Vortrag im Historischen Bahnhof Friedrichsruh konzentrierte sich Dr. Volker Stalmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Berlin, auf diese letzte Station und skizzierte ein ambivalentes Bild dieses erfahrenen Politikers.

Ob seiner (entfernten) Verwandtschaft von Kaiser Wilhelm II. „Onkel Chlodwig“ gerufen, galt Hohenlohe bei seiner Berufung als Übergangskandidat. Niemand vermutete, dass sich der Greis lange würde im Amt halten können, das er nur ungern und vor allem aus Pflichtgefühl annahm, wie dem Vortrag zu entnehmen war. Tatsächlich aber amtierte Hohenlohe sechs Jahre lang als Reichskanzler – und in dieser Zeit war oft genug nicht der widerstrebende Reichstag sein größter Gegner, sondern der Monarch. Wilhelm II. sei durchaus mit Präsident Donald Trump zu vergleichen, meinte Stalmann und zog damit eine Parallele, die auch schon in der US-amerikanischen Publizistik zu lesen war: Beide ähnelten sich in der Egozentrik, der Impulsivität und im Verlangen nach unbedingter Gefolgschaft. Es sei zu vermuten, dass auch ein durchsetzungsfähigerer Reichskanzler diesem Kaiser nicht hätte Paroli bieten können.

Hohenlohe, der sich Wilhelm II. gegenüber nach dessen finanziellen Zusagen auch noch zu Dank verpflichtet gefühlt habe, so Stalmann, sei als Reichskanzler oft genug als „Strohpuppe“ erschienen: Er habe wiederholt (vergeblich) versucht, auf Geheiß des Kaisers ihm selbst unsinnig erscheinende Gesetzesvorlagen durchzubringen – etwa die sogenannte Umsturzvorlage, mit der das Straf-, Versammlungs- und Presserecht empfindlich verschärft worden wäre. Dennoch dürfe nicht vergessen werden, erläuterte der Referent, dass Hohenlohe bedeutende Reformen gelungen seien: Gegen den Widerstand des Kaisers habe er das Militärstrafrecht reformiert, das mit der Einführung von Mündlichkeit und Öffentlichkeit transparenter geworden sei. 1899 habe er das verfassungsergänzende Reichsgesetz zur Aufhebung der die Vereins- und Versammlungsfreiheit betreffenden Verbindungsverbote einführen können. Es erlaubte den politischen Parteien eine Kooperation und ging als wesentliche Weiterentwicklung des Parteienrechts in die deutsche Geschichte ein.

Insgesamt aber sei Hohenlohes Amtszeit davon geprägt gewesen, so Stalmann resümierend, dass das Reich zwar in die wirtschaftlich-technische Moderne aufgebrochen, aber – vor allem durch den Machtanspruch des Kaisers – in einem rückständigen politischen System eingesperrt geblieben sei. „Das ist die Krux der deutschen Geschichte.“

 

Literatur zum Thema

Gunther Blieffert
Die Innenpolitik des Reichskanzlers Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst 1894-1900
Kiel, Dissertation 1950

Friedrich Curtius
Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zu seinem hundertsten Geburtstag
Aus Fraktur übertragen, Nachdruck der Originalausgabe von 1919, neu herausgegeben von Björn Bedey
Hamburg 2011

Volker Stalmann
„Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Ein deutscher Reichskanzler“
Paderborn 2009

Olav Zachau
Die Kanzlerschaft des Fürsten Hohenlohe 1894 – 1900. Politik unter dem „Stempel der Beruhigung“ im Zeitalter der Nervosität
Hamburg 2007 (Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit 48)

Die Abbildung ist entnommen aus dem Band „Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst“. Im Auftrage des Prinzen Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst herausgegeben von Friedrich Curtius, Zweiter Band, Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt 1907.