Bismarck Bitter oder: Ein Schluck Likör als Wegweiser in die Vergangenheit
Während seiner Amtszeit versuchte Bismarck dem grassierenden Alkoholismus mit hohen Steuern beizukommen. Privat war der Reichskanzler einem guten Tropfen jedoch nicht abgeneigt. Gelangte sein Abbild deshalb auf das Etikett dieses Kräuter-Bitters aus dem 19. Jahrhundert?
Der Historiker Golo Mann sagte einmal, Geschichte entstehe durch die Auseinandersetzung mit der vergangenen Wirklichkeit und ihrer hinterlassenen Spuren in den historischen Quellen.1 Als Anhaltspunkt für die Geschichte über die vergangene Wirklichkeit dient eine eher außergewöhnliche Quelle. Sind es meist Urkunden oder andere schriftliche Dokumente, manchmal ein Gemälde oder eine Büste, die als Ausgangspunkt für Forschungen dienen, so ist es hier ein Fundstück, das eine Dame aus der Nähe von Hof im Keller ihrer Großmutter fand.
Es handelt sich um eine ungeöffnete Flasche Kräuter-Bitter namens „Bismarck Bitter“, die aus grünem Glas besteht. Als Hersteller des Getränks benennt das Etikett einen gewissen „H. E. Jacobus“ und vermerkt als Abfüllungsort und Gründungsdatum der Destille „Schivelbein 1849“. Verziert ist die Flasche daneben mit einem Bildnis Bismarcks in Uniform, an auffallender Stelle mit dem Eisernen Kreuz behangen. Die Flasche wird als „Deutsches Erzeugnis“ gekennzeichnet und eine noch teilweise erhaltene Banderole zeichnet den Likör als „Originalabfüllung“ aus. Die Flasche ist ungeöffnet und mit einem Korken verschlossen.
Ausgehend von diesen Hinweisen lässt sich die Flasche Kräuterbitter in ihren historischen Kontext einordnen. Die Herkunftsangabe „Schivelbein 1849“ verweist auf die Stadt Schivelbein (alternativ: Schievelbein, das heutige polnische Świdwin), ein bedeutender Handelsknotenpunkt der preußischen Provinz Pommern. Über den angegebenen Hersteller des Likörs, H. E. Jacobus, selbst ist wenig bekannt. Ein historisches Einwohnerregister führt auf, dass er mit Dorothea Jakobus verheiratet, Besitzer eines Lebensmittelladens und Erfinder eben jenes „sehr guten Kräuterlikörs“ Bismarck Bitter gewesen sei.2 Ein anderer Anhaltspunkt weist auf einen „Hermann Ephraim Jacobus“ aus Schivelbein hin. Der Familienname findet sich im 19. Jahrhundert in Schivelbein bei 25 Personen vor allem jüdischen Glaubens.3
Dass es sich bei dem alkoholischen Getränk nicht nur um ein reines Genussmittel handelt, zeigt ein Verwendungshinweis auf dem Etikett. Dort heißt es: „Dieser von mir erfundene Magen-Bitter ist aus den heilsamsten Kräutern bereitet und hat sich seiner vortrefflichen Wirkung wegen überall gut bewährt zur Stärkung des Magens als Vorbeugungsmittel gegen Diarrhoe, Cholera und Kolik. Opium ist nicht darin enthalten und kann daher jede Dosis nach Bedürfnis genossen werden.”
Der Kräuterlikör wurde also als Präventivmittel gegen verschiedene Krankheiten und Leiden beworben, die die Bevölkerung im 19. Jahrhundert und noch lange Zeit danach heimsuchten. Insbesondere die Cholera-Epidemie stellte lange Zeit eine schwere Bedrohung für die Gesundheit der Menschen dar. Die „asiatische Cholera“, wie die Ausbrüche der Krankheit Mitte des 19. Jahrhunderts genannt wurden, begann ursprünglich 1829 in Indien und verbreitete sich bis 1830 über Russland an die Grenzen des Deutschen Bundes. Die Regierungen versuchten über eine aktive Seuchenabwehr – durch einen militärischen Sperrgürtel, Einschränkung des Schiffsverkehrs und strenge Quarantänevorschriften für Reisende – die Krankheit einzudämmen, aber schon Ende Mai 1831 wurden erste Krankheitsfälle in Danzig und Königsberg gemeldet. Die ungenügenden Hygiene-Umstände des Pauperismus, enge Wohnsituationen und die mangelnde Versorgung mit sauberem Trinkwasser führten zu einer schnellen Verbreitung der Seuche. Allein in Danzig erkrankten damals 1.471 von 55.000 dort lebenden Menschen an der Cholera, von denen 1.076 starben, was einer Sterblichkeitsrate von über 70 Prozent entspricht. Es folgten Ausbrüche in den Jahren 1846, 1854, 1859 und 1866, in jenem Jahr besonders schlimm in Pommern.4
Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde eine wirksame Bekämpfung der Epidemien möglich. So gelang es Robert Koch 1883 erstmals, den Zusammenhang zwischen verunreinigtem Trinkwasser und Cholera-Epidemien herzustellen, was eine aktive Präventionsarbeit ermöglichte. In den 1870er-Jahren wurde in den preußischen Gebieten die öffentliche Kanalisation und Trinkwasserversorgung vorangetrieben, vor allem um Krankheiten im Verdauungstrakt und Choleraepidemien vorzubeugen.
Die Frage, warum ein Bildnis des langjährigen deutschen Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarcks nicht nur die Flasche ziert, sondern deren Inhalt auch seinen Namen gab, lässt sich letztlich nicht einwandfrei beantworten. Es ist jedoch eher weniger davon auszugehen, dass Bismarck in irgendeinem direkten Kontakt zu Schivelbein und Herrn Jacobus stand und dessen Destillat etwa nach einer erfolgten Verkostung mit dieser Benennung prämieren wollte.5 Viel eher zeigt sich hier eine der vielen skurrilen Ausprägungen des Bismarck-Kultes, in denen verschiedenste Konsumgüter mit dem Namenszusatz „Bismarck“ versehen wurden, um durch eine – meist imaginäre – Verbindung zwischen ihrem Produkt und dieser zugkräftigen „Werbefigur“ zusätzliche Kunden zu gewinnen.6 Vermutlich schloss sich H.E. Jacobus oder ein späterer Inhaber seiner Firma der offenbar auch in seinem Ort verbreiteten Bismarck-Begeisterung an, um dem Kräuterlikör eine zusätzliche Identifikation zu geben und vom Bismarck-Kult unternehmerisch zu profitieren.
Dass der Kräuterbitter tatsächlich die wundersame Vorbeugung gegen Diarrhoe, Koliken und gar Cholera bewirken konnte, mag heutzutage bezweifelt werden. In jedem Fall ist es eine glückliche Fügung, dass diese liebgewonnene Flasche so lange aufbewahrt wurde und nun Ihren Platz in den Beständen der Otto-von-Bismarck-Stiftung einnimmt.
Quellen:
1. Jens Hacke/Matthias Pohlig (Hrsg.), Theorie in der Geschichtswissenschaft. Einblicke in die Praxis des historischen Forschens, Frankfurt a.M. 2008, S. 138.↩
2. Original: „Husband, owner of grocery shop, Bismarckbitter, discovered a very good herbal liquer“, Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden in Pommern, New York 2006, S. 711, zit. n. Virtual Shtetl (www.sztetl.org)↩
3. Personenliste Schivelbeins im 19. Jahrhundert; bezogen von: online-ofb.de.↩
4. Josef Ehmer, Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 1800-2010, München 2013, S. 90.↩
5. Im Falle des Flensburger Rums „Hansen Präsident“ soll dagegen der Reichspräsident Paul von Hindenburg nach einer Geschmacksprobe des Getränks dem Hersteller persönlich die Verwendung seines Bildnisses und des Namenszusatzes „Präsident“ zu Werbezwecken für sein Produkt gestattet haben.↩
6. Ohnezeit, Maik: Reklame, Kunst und Propaganda: Formen des Bismarckkultes, in: Lappenküper, Ulrich (Hrsg.), Bismarck. Essays zu Familie, Aussenpolitik und Mythos, Friedrichsruh / Schönhausen 2015, S. 57-75, hier S. 64.↩