„daß die Krone nur von Gott kommt“. Replikat der Königskrone Wilhelms I.

Preußische Königskrone Wilhelms I., Nachbildung nach Originalmaßen aus Metall (vergoldet), Samt sowie Edelstein- und Perlennachbildungen, Maße: 20 x 16/21,5 cm, Gewicht: 1323g – Ort: Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh

Prunkvolle Königskrönungen, wie sie beispielsweise die britische Monarchie noch heute kennt (auch wenn dies zuletzt 1952 der Fall war), finden sich in der preußisch-deutschen Geschichte nur wenige. Genaugenommen fanden zu Zeiten der Hohenzollernherrschaft in Berlin nur zwei Krönungsfeiern statt (und das bei neun Königen im Zeitraum 1701 bis 1918): Zum einen am 18. Januar 1701, als sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg in Königsberg zu König Friedrich I. in Preußen krönte (Könige von Preußen wurden die Hohenzollern erst 1772). Und dann zum zweiten und gleichzeitig letzten Mal am 18. Oktober 1861, abermals in Königsberg, wo sich Wilhelm I. die Königskrone auf den (mit 64 Jahren bereits recht kahlen) Kopf setzte. Zwar spielte Wilhelm II. 1889 noch einmal kurzzeitig mit dem Gedanken, sich als preußischer König demonstrativ krönen zu lassen – und ließ für diesen Anlass sogar eine eigene Krone anfertigen –, allerdings verlief sich dieses neoabsolutistisch-anachronistische Projekt genauso schnell wieder im Sande wie zahlreiche andere Gedankenspiele des letzten Hohenzollernmonarchen.

Auch wenn die preußischen Kronjuwelen seit 1918 nicht mehr als Symbole politischer Macht und Legitimation fungieren, könnte man doch annehmen, dass sie – ähnlich wie ihre britischen Gegenparts die meiste Zeit – zumindest hübsche Ausstellungstücke abgeben würden. Doch leider hat die deutsche Geschichte des 20. Jahrhundert nicht nur an ihren einstigen Trägern ihre Spuren hinterlassen, sondern auch an den Kronen selbst: Die Königskrone Friedrichs I. wurde bereits 1889 ihrer Juwelen entledigt, da man diese für das neue Exemplar Wilhelms II. wiederverwertete; das Goldskelett der 1701er Krone befindet sich heute im Berliner Schloss Charlottenburg. Die juwelenbesetzte 1889er Krone Wilhelms II. – der sie selbst nie trug – ist in der Schatzkammer der Burg Hohenzollern bei Hechingen ausgestellt. Die 1861er Krone Wilhelms I. ging jedoch in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren, und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Wie der prachtvolle Kopfschmuck des dann 1871 auch noch zum ersten Deutschen Kaiser ausgerufenen Wilhelms I. in natura ausgesehen hat, das kann man seit Neuestem in der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh selbst begutachten. Aufgrund einer großzügigen Spende ist die Stiftung nunmehr im Besitz eines Replikats der 1861er Krone; die Edelsteine sind zwar unecht, dafür ist das Metallskelett immerhin vergoldet.

Die Geschichte, die hinter der Königskrone und der Zeremonie am 18. Oktober 1861, für deren Zweck sie hergestellt wurde, steckt, ist gleichzeitig ein nicht unbedeutendes Kapitel preußisch-deutscher Politikgeschichte – mit Implikationen weit über das Jahr 1861 hinaus. Denn als Wilhelm I. nach dem Tod seines Bruders und Vorgängers Friedrich Wilhelm IV. am 2. Januar 1861 König von Preußen wurde, bestieg er einen Thron, der sich seit 1848/50 im konstitutionellen System zurechtfinden musste. Die Verfassung hatte sich Friedrich Wilhelm IV. im Zuge der Revolution nur ungern aufdrängen lassen, und das Erste, was er seinem Bruder und Nachfolger dann auch testamentarisch ans Herz legte, war, den Eid auf das grundlegende Staatsdokument zu verweigern. Wohlwissend, dass man das Rad der Zeit nicht ohne Gefahren zurückdrehen kann, verwarf Wilhelm I. den letzten Willen seines Bruders noch an dessen Sterbetag und stellte sich auf den Boden der konstitutionellen Tatsachen.1 Allerdings unter einer Bedingung: Im Gegenzug dafür, dass er den Eid auf die Verfassung ablegte, verlangte er, dass die Stände ihm als neuem König in einer öffentlichen Zeremonie die Erbhuldigung entgegenbrachten, wie dies auch bei all seinen Vorgängern der Fall gewesen war.

Das war politischer Sprengstoff, der die gerade erst begonnene Herrschaft Wilhelms I. sogleich in ihre erste Krise stürzte: Das Staatsministerium vertrat gegenüber dem König den Standpunkt, dass der Huldigungseid – ein mittelalterliches Ritual, das in Brandenburg auf das Jahr 1473 zurückgeht – im neuen konstitutionellen System nichts mehr zu suchen hatte, die Minister drohten gar mit ihrem geschlossenen Rücktritt, sollte der Herrscher nicht einlenken; tatsächlich erwähnte die Verfassung auch nur den Eid des Königs, von ständischer Erbhuldigung war nirgendwo die Rede. Aber Wilhelm bestand auf der althergebrachten Zeremonie, mit der er die Machtstellung der Krone gegenüber den konstitutionellen Institutionen, insbesondere dem Parlament unterstreichen wollte.2

Diese Pattsituation, die sich über mehrere Monate hinzog, wurde schließlich durch einen Kompromiss gelöst: Wilhelm I. leistete den Eid auf die Verfassung, verzichtete auf die Erbhuldigung, und sollte sich stattdessen im Königsberger Schloss wie sein Vorgänger Friedrich III./I. 1701 selbst zum König krönen. Der Herrscher stimmte dem Entschluss des Ministeriums zu, wenn auch „mit Überwindung eines tiefen persönlichen Widerstrebens gegen alles äußere Gepränge“.3 Bevor der Krönungsakt aber am 18. Oktober stattfinden konnte gab es noch einige Probleme zu überwinden: Da das Parlament nicht bereit war, die Kosten für die neoabsolutistisch anmutende Zeremonie zu bewilligen, musste Wilhelm I. diese zum größten Teil aus seinem Privatvermögen bezahlen. Dazu gehörte auch die neue Königskrone, die extra hergestellt werden musste. Denn die 1701er Krone konnte man im 19. Jahrhundert nicht mehr wiederverwenden, sie war damals, ganz dem Zeitgeist entsprechend, für einen Kopf konzipiert worden, der mit einer prachtvollen barocken Perücke bedeckt war.4 Und dann blieb noch der Umstand, dass der Krönungskompromiss gerade auf konservativer, also eigentlich staatstragender Seite für scharfe Kritik sorgte: Auf den Seiten der Kreuzzeitung wurde das königliche Nachgeben in der Huldigungsfrage dermaßen angegriffen, dass der König das Blatt seitdem aus Verbitterung nicht mehr gelesen haben soll, so Bismarck.5 Den Historiker Leopold von Ranke veranlasste die mittlerweile öffentliche Krönungskontroverse zu dem treffenden Kommentar, „eigentlich liegt die Krönung, da sie ein geistliches Element einschließt, noch weiter nach rechts als die einfache Huldigung, aber wer bemerkt das, auf beiden Seiten?“.6

Wilhelm I. sah sich daher noch am Krönungstag genötigt, seine Entscheidung vor der versammelten Landesvertretung zu verteidigen: „Von Gottes Gnaden tragen Preußens Könige seit 160 Jahren die Krone. Nachdem durch zeitgemäße Einrichtungen der Thron umgeben ist, besteige ich als erster König denselben. Aber eingedenk, daß die Krone nur von Gott kommt, habe ich durch die Krönung an geheiligter Stätte bekundet, daß ich sie in Demut aus seinen Händen empfangen habe.“7 Das hieß nichts anderes, als dass der König die konstitutionelle Einschränkung seiner Macht „durch zeitgemäße Einrichtungen“ zwar akzeptierte, er aber auch unmissverständlich deutlich machen wollte, dass er sich noch immer als Herrscher von Gottes Gnaden betrachtete, sich also auch nur göttlichem Willen gegenüber verantwortlich fühlte, und nicht einem wie auch immer gearteten, parlamentarisch-demokratisch legitimierten Volkswillen.8 Gleich zu Beginn seiner Herrschaft stellte Wilhelm I. somit die tatsächlichen Machtverhältnisse in Preußen (und später im Deutschen Reich) klar.

Die Krönungszeremonie geriet dann auch den königlichen Intentionen entsprechend zum öffentlichen Bündnisschluss von Thron und Altar. Dass genau in dem Moment, in dem er die Krone ergriff, ein Lichtstrahl durch das Schlossfenster auf ihn gefallen sein soll, interpretierte Wilhelm noch Jahrzehnte später als Zeichen göttlichen Wohlwollens.9 Nur, dass die instabile Großkonstruktion der Regimentsfahnen, die die militärische Komponente des preußischen Königtums für Jedermanns Augen unterstreichen sollte, am Tag zuvor unter krachendem Lärm in sich zusammengebrochen war, trübte die Zeremonie ein wenig; über dieses Missgeschick verpflichteten sich die Anwesenden gegenüber Wilhelm I., der davon nichts mitbekommen hatte, zu Stillschweigen.10 Das von Adolph Menzel auf königlichen Auftrag hin zwischen 1862 und 1865 geschaffene Gemälde der Krönungszeremonie stellt dann auch weniger eine historische Momentaufnahme des Geschehens dar, als eine idealisierte Zurschaustellung göttlicher Macht und königlichen Glanzes.

Die Reaktionen innerhalb der deutschen Presse fielen im Nachhinein eher verhalten aus; man gab sich v.a. Spekulationen über die Höhe der Kosten hin, die der König für das ganze Spektakel aufgebracht hatte (es waren insgesamt 315 846 Taler, 11 Silbergroschen und 9 Pfennig). Die ausländische Presse, insbesondere die britische, erkannte viel eher, dass hier ein Monarch sein Gottesgnadentum demonstrativ in Szene gesetzt hatte, aller konstitutioneller Institutionen zum Trotz.11 Und tatsächlich gab die Art und Weise, wie Wilhelm I. seine Herrschaft 1861 begonnen hatte, einen im Nachhinein klaren Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte, darunter den Verfassungskonflikt und die Reichsgründung von oben. Verkörpert ist dieses monarchische Regierungsprinzip, das die deutsche Geschichte des ‚langen 19. Jahrhunderts‘ entschieden prägte, in der Königskrone Wilhelms I., deren Replikat sich in den Räumen der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh bestaunen lässt.

 

[1] Vgl. Tagebucheintrag Kronprinz Friedrich Wilhelms, 2. Januar 1861, abgedruckt in: Meisner, Heinrich Otto (Hrsg.): Kaiser Friedrich III. Tagebücher von 1848-1866, Leipzig 1929, S. 73 f.

[2] Vgl. Aufzeichnungen des Kronprinzen, 22. Juni 1861, abgedruckt in: Ebd.: S. 486 f.

[3] Protokoll der Kronratssitzung am 3. Juli 1861, als Regest abgedruckt in: Acta Borussica. Neue Folge. 1. Reihe. Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817-1934/38. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 5, Hildesheim 2001, S. 126.

[4] Vgl. Börner, Karl Heinz: Wilhelm I. Deutscher Kaiser und König von Preußen. Eine Biographie, Berlin (Ost) 1984, S. 150.

[5] Vgl. Otto von Bismarck. Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe. Abt. IV. Gedanken und Erinnerungen, S. 148.

[6] Leopold von Ranke an Edwin von Manteuffel, 9. Juli 1861, abgedruckt in: Herzfeld, Hans/ Hoeft, Bernhard (Hrsg.): Leopold von Ranke. Neue Briefe, Hamburg 1949, S. 406.

[7] Antwort Wilhelm I. an den Präsidenten des Herrenhauses, den Fürsten zu Hohenlohe-Ingelfingen, den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Dr. Simson und den Grafen Dohna-Leuck als Sprecher der Prinzen und der Provinzen, 18. Oktober 1861, abgedruckt in: Berner, Ernst (Hrsg.): Kaiser Wilhelms des Großen Briefe, Reden und Schriften. Bd. 2, S. 19 f.

[8] Vgl. Sellin, Volker: Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, München 2011, S. 95 ff.

[9] Vgl. Wilhelm I. an seine Schwester Alexandrine, 27. Mai 1883, abgedruckt in: Schulze, Johannes (Hrsg.): Kaiser Wilhelms I. Briefe an seine Schwester Alexandrine und deren Sohn Großherzog Friedrich Franz II., Berlin/Leipzig 1927, S. 200 f.

[10] Vgl. Schneider, Louis: Aus dem Leben Kaiser Wilhelms I. 1849-1873. Bd. 1, Berlin 1888, S. 49 f.

[11] Vgl. Elze, Reinhard: Die zweite preußische Königskrönung (Königsberg 18. Oktober 1861). Zum Druck eingerichtet von Arno Borst und Markus Wesche. Vorgetragen in der Sitzung vom 6. Februar 1998, in: Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Sitzungsberichte Jahrg. 2001 Nr. 6, S. 24-29.