Bismarcks Sachsen: Radebeuler bürgerschaftliches Engagement für einen Bismarckturm!

Mit ihrem geschichtspolitischen Bewußtsein dürften die Radebeuler momentan in der Bundesrepublik eine Ausnahme sein. Denn wo sonst wird gerade ein Bismarckturm mit Enthusiasmus und Tatendrang restauriert, mit dem Ziel, ihn buchstäblich zu retten und der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen?

Der Dresdner Vorort, in dem einst der ideenreiche Schriftsteller Karl May lebte, birgt offenbar dieses seltene Potential an bürgerschaftlichem Engagement für einen scheinbar aus der Mode gekommenen architekturgeschichtlichen Klotz. Hier ist nicht der Ort, die Geschichte aller 234 Bismarcktürme und -säulen zu erzählen, die zwischen 1869 und 1934 in Deutschland und seinen überseeischen Kolonien errichtet wurden. Ganz sicher ist der Radebeuler Turm aber ein besonderer, denn er wurde nach einem Entwurf eines Freundes von Karl May 1907 gebaut, hat also einen doppelt-berühmten lokalgeschichtlichen Bezug.[1]

Der Architekt Wilhelm Kreis (1873-1955) lehrte von 1902 bis 1909 als Professor für Raumkunst an der Kunstgewerbeschule Dresden und zeichnete in dieser Zeit für etliche neobarocke Bauwerke verantwortlich. Kreis war ein Schüler Paul Wallots (1841-1912), der in Berlin den Reichstag und in Dresden das Ständehaus, den alten Landtag an der Brühlschen Terrasse, gebaut hatte, und wer sich die von Kreis stammende neue Friedrich-August-Brücke (sie ersetzte die alte Augustusbrücke) anschaut, erkennt die ästhetische Verwandtschaft.

Gemeinsam mit dem Illustrator der Karl-May-Bände, Sascha Schneider, weilte Kreis häufiger bei May in der idyllischen Weinstadt Radebeul, die damals noch vor den Toren der Landeshauptstadt lag. Bei solchen Gelegenheiten mag Kreis in Berührung mit örtlichen Honoratioren gekommen sein, denen er als Referenz schon seinen Entwurf für den 1906 begonnenen Bismarck-Turm in Jena, auf dem Malakoff des Tatzend, vorzeigen konnte.

Die Radebeuler waren offenbar überzeugt und setzten den Bau rasch in die Tat um. Am 30. April 1906 wurde der Grundstein gelegt und bereits am 2. September konnte die Einweihung gefeiert werden; die Jenenser bauten noch bis 1909 weiter!

Verzichtet wurde damals allerdings auf den Einbau einer Treppe, obwohl das Projekt 1913 noch einmal ernsthaft diskutiert wurde. Geldknappheit, der bald einsetzende Erste Weltkrieg und die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in dessen Folge verhinderten die Umsetzung einer Aufstiegsmöglichkeit. Diese soll bei den Restaurierungsentwürfen der Jahre 2011/12 endlich realisiert  werden. Durch ein Schiebedach soll man auf den 18 m hohen Turm treten und den Rundblick ins Elbtal und die Radebeuler und Lößnitzer Weinberge genießen können. Verantwortlich für die Pläne zeichnet der Verein für Denkmalpflege und neues Bauen Radebeul. Seit 2007 versucht er die Idee in die Tat umzusetzen, den Turm wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Stolze 210.000 Euro sollen eingeworben werden, um das alte Gemäuer zu stabilisieren und vom Fundament bis zur Spitze begehbar zu machen. Die kühnen Radebeuler Restaurateure planen zudem als Highlight eine Videoinstallation, die von der Turmspitze aufgezeichnete Bilder mit Impressionen aus der Geschichte Radebeuls mischt und auf einer ringförmigen Projektionsfläche an den Innenwänden des Turms sichtbar macht. Hier sieht man buchstäblich die begeisterten sächsischen Ingenieure vor sich, die das Industrie- und Wissenschaftsland seit 200 Jahren prägen![2]

Der Turm wird wie viele andere Bismarcktürme verschließbar sein, allein schon um Vandalismus zu verhindern. Ein Verein soll sich schließlich um den Betrieb der Immobilie kümmern. Bis 2015, dem auch in diesem Hause freudig entgegen gesehenen 200. Geburtstag Otto von Bismarcks, sollen die Vorhaben in die Tat umgesetzt werden. Um diesen hochfliegenden Plänen eine solide Grundlage geben zu können, sind die Sachsen auf Spenden angewiesen, die etwa durch Stifterbriefe eingeworben werden sollen. Die wissenschaftliche Bismarckforschung kann diese gegenwartsbezogene Initiative um einen erinnerungs- und geschichtspolitischen Ort der kaiserzeitlichen Bismarckverehrung- und verklärung nur begrüßen. Erfolg und Glück wünscht der Autor freilich auch, weil er als gebürtiger Dresdner dem Radebeuler Turm näher steht als vielen der übrigen 233 Bismarcktürme.

[1] Im Referenzwerk zum Thema  (Günter Kloss/Sieglinde Seel, Bismarcktürme und Bismarcksäulen. Eine Bestandsaufnahme, Petersberg 1997, S. 134) ist unter der hier verwendeten Abbildung das Jahr 1985 angegeben, mitten in der Sachsen- und Preußenrenaissance also, die in den 1980er Jahren nicht zufällig parallel zum Herbst der sozialistischen Diktatur aus dem wiedererstarkten Heimatbewußtsein vieler DDR-Bürger entstand. Vgl. Ulf Morgenstern, Sächsische (Dis-)Kontinuitäten und die „Sachsenrenaissance“. Von Verschwinden und Wiederkehr Sachsens in den vier Jahrzehnten der DDR, in: Konstantin Hermann (Hrsg.), Sachsen seit der Friedlichen Revolution. Tradition, Wandel, Perspektiven (=Saxonia. Schriften des Vereins für sächsische Landesgeschichte, Bd. 12), Beucha 2010, S. 28-45.

[2] Dem Artikel der Sächsischen Zeitung „Sifterbriefe sollen Bismarckturm retten“ vom 17. Februar 2012 sind die Namen von fünf Radebeuler Architekten und Statikern zu entnehmen, die bereits Vorentwürfe geleistet haben. Sie seien neben dem Vorsitzenden des Denkmalschutzvereins Jens Baumann ausdrücklich genannt: Klaus Löschner, Thomas Scharrer, Hans Dieter Blanek, Henning Liebau und Gunar Richter.