Parlamentarismus und demokratische Kultur in Deutschland vor und nach dem Ersten Weltkrieg – Vortrag von Prof. Dr. Ute Daniel
In der historischen Forschung zum Deutschen Kaiserreich wird die Arbeit des Reichstags überwiegend kritisch betrachtet: Die Parlamentarier hätten zu wenig Einfluss auf die Regierungsbildung gehabt und seien infolgedessen nicht an eine verantwortungsvolle Rolle in der Politik gewöhnt worden. Diese Kritik sei nicht unberechtigt, so die These von Prof. Dr. Ute Daniel. Doch sie unterlasse vergleichende Blicke auf andere Zeiten und Parlamente, die eine fundierte Beurteilung erst ermöglichten.
Prof. Daniel nimmt in ihrem Vortrag daher eine vergleichend-kontrastierende Perspektive ein. Sie hebt aus der Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland zwei zentrale Ereignisse hervor, zunächst eine Abstimmung im Reichstag des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1913 über die Finanzierung von Rüstungsprogrammen. Verbunden waren damit Debatten über die Frage, wer den Staat finanziert. Eröffnet worden seien mit der erstmaligen Einführung einer reichsweiten progressiven Steuer neue Chancen auf die Weiterentwicklung von Parlament und Demokratie. Gestoppt worden sei diese allerdings bald durch den Ersten Weltkrieg.
Im scharfen Kontrast dazu steht das Jahr 1931, als der Reichstag der Weimarer Republik sich auf Drängen von Reichskanzler Heinrich Brüning durch eine Änderung seiner Geschäftsordnung wesentlicher parlamentarischer Rechte selbst beraubte. In der Folge sei es Vertretern der Reichswehr gelungen, so Prof. Daniel, über ihren Einfluss auf Reichspräsident Paul von Hindenburg die politische Entwicklung hin zu einem Präsidialsystem zu forcieren. Nur in einer Entparlamentarisierung und schließlich durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler hätten sie die Möglichkeit gesehen, eine staatliche Finanzierung teurer Rüstungsprogramme – auch zulasten des Sozialhaushalts – abzusichern.
– Video –
Der Vortrag wurde anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Volkes Stimme! Parlamentarismus und demokratische Kultur im Deutschen Kaiserreich“ am 28. September 2025 im Bismarck-Museum Friedrichsruh gehalten.
Startbild unter Verwendung von: Eine Sitzung des Deutschen Reichstages. Druck nach einem Holzstich von Ewald Thiel, 1897





