Parlament, Volkes Stimme und die Zeitungsbengels. Reichstag und Öffentlichkeit im Kaiserreich
„Die Öffentlichkeit war für den Reichstag ein entscheidender Motor seiner politischen Bedeutung, und mit Blick auf diese Wirkung kommunizierten die Abgeordneten auch.“ Prof. Dr. Thomas Mergel zeigte in seinem Vortrag die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland auf, die im Zusammenspiel von politischer Arbeit und Medienberichterstattung vorangetrieben wurde.
Die ursprünglich im 19. Jahrhundert vorherrschende Ansicht, die Abgeordneten würden nur im Plenum miteinander debattieren, erwies sich demnach früh als realitätsfern. Da die Sitzungen öffentlich waren, von Besuchern beobachtet und von Journalisten in ihren Artikeln gespiegelt wurden, reichte die politische Wirkung des Gesagten bald über den Sitzungssaal hinaus. Die Abgeordneten und ihre Parteien nutzten nach 1871 die Medien immer stärker, um ihre Positionen zu erklären und um Wählerstimmen zu werben. So wurde die Öffentlichkeit „zentral für die Legitimität des Parlamentarismus.“
Der Reichstag des Deutschen Kaiserreichs etablierte sich aber nicht nur als Forum der öffentlichkeitswirksamen politischen Aussprache, sondern auch als Arbeitsparlament. Um die Gesetzgebung vorantreiben zu können, so Prof. Mergel, verlagerte sich die Vorbereitung in die Arbeits- und Sitzungszimmer. Hinter verschlossenen Türen war es möglich, ohne Gesichtsverluste Kompromisse auszuhandeln. Diese Arbeitsweise wurde allerdings immer wieder auch kritisiert und insbesondere von den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten abgelehnt.
Durch das Zusammenwirken von öffentlicher Vermittlung der Politik und einer zunehmend effektiven Arbeitsweise gelang es dem Parlament insgesamt, zu einer zentralen Institution zu werden: „Gegen Ende des Kaiserreichs hatte der Reichstag nach innen und außen sehr viel mehr Gewicht als am Anfang“, so das Fazit. „Er wurde zu einem Symbol der Nation.“
Der Vortrag von Prof. Dr. Thomas Mergel (HU Berlin) fand am 9. Oktober 2025 im Schloss Reinbek statt und war öffentlicher Teil der Tagung „Reichstag revisited. Neuere Forschungen zur vergleichenden Parlamentarismusgeschichte des deutschen Kaiserreichs“.
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Startbild unter Verwendung zweier Zeichnungen, die am 9. Dezember 1871 (Journalisten auf der Pressetrübine, links) sowie am 22. Februar 1879 (Zuschauer auf der Tribüne, rechts) in der Zeitschrift „Daheim“ erschienen sind.





