Wahlen – ein Workshop über Aspekte der deutschen Demokratiegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert

Prof. em. Dr. Hans-Werner Hahn hielt den Abendvortrag über „Zensuswahlrecht, allgemeines Männerwahlrecht, Frauenwahlrecht“.

Wahlen bilden einen Grundpfeiler demokratischer Kultur. Ihre historischen Erscheinungsformen standen im Mittelpunkt eines Workshops, zu dem unser Team am 12. und 13. Juni in Kooperation mit der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e. V. (KGParl) nach Tangermünde und Schönhausen eingeladen hat. Geleitet wurde der Workshop von Dr. Andrea Hopp (Stiftung) und PD Dr. Tobias Kaiser (KGParl).

Am ersten Tag kamen in Tangermünde Expertinnen und Experten, Studierende sowie Lehrerinnen und Lehrer zusammen, um sich über historische Wahlformen, Wahlrechtsreformen, die Entwicklung einer demokratischen Wahlpraxis und Kultur der Teilhabe auszutauschen. Zentrale Impulse aus zurückliegenden und aktuellen Forschungsprojekten gaben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der KGParl: Dr. Andreas Biefang sprach über den Wahlkampf als demokratisches Zeremoniell im Kaiserreich und zeigte auf, wie sich erst allmählich der Übergang aus einer monarchisch geprägten Symbolpraxis vollzog. Dr. Bettina Tüffers beschäftigte sich mit der Materialität demokratischer Wahlen. Ihr Forschungsprojekt steht noch ganz am Anfang, sie veranschaulichte es am Beispiel der Entwicklung von Wahlurnen. PD Dr. Tobias Kaiser stellte die heute teilweise absurd anmutenden Debatten über ein Für und Wider der Einführung des Frauenwahlrechts im 19. und frühen 20. Jahrhundert vor. Die Erweiterung des Wahlrechts auf beide Geschlechter bedeutete de facto eine Verdopplung der Zahl der Wahlberechtigten und war damit ein bedeutender Schritt der Demokratisierung des Wahlrechts. Entsprechend hart wurden die Debatten geführt, ob Frauen für die Politik geeignet seien oder nicht.

Studierende aus einem Seminar von Tobias Kaiser an der Friedrich-Schiller-Universität Jena referierten Hausarbeiten, die regionalen Beispiele gewidmet waren: Lukas Lücking betrachtete auf der Basis zeitgenössischer Presseberichte die Reichstagswahl im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach im Jahr 1893, Paula Pietzuch das Eichsfeld als katholisch geprägte CDU-Hochburg Jahrzehnte später. Beide unterstrichen die Bedeutung lokaler Eigenheiten und deren Einfluss auf die Wahlergebnisse: Je nach Akzeptanz und Überzeugungskraft des Kandidaten konnten sich signifikante Abweichungen von überregionalen Trends ergeben.

Dr. Ulf Morgenstern, Stiftungsgeschäftsführer und Vorstand, übernahm die Moderation des Abendvortrags von Prof. em. Dr. Hans-Werner-Hahn (2.v.r.), Dr. Andrea Hopp und PD Dr. Tobias Kaiser (r.) leiteten den Workshop.

Einen öffentlichen Abendvortrag hielt Prof. em. Dr. Hans-Werner Hahn über „Zensuswahlrecht, allgemeines Männerwahlrecht, Frauenwahlrecht“. Der langjährige Inhaber der Professur für Neuere Geschichte der Jenaer Universität skizzierte – anschaulich bebildert – zentrale Entwicklungsetappen und Formen des Wahlrechts noch vor dem 19. bis ins 20. Jahrhundert.

Der zweite Veranstaltungstag fand in Schönhausen in unseren Räumen statt. Unter dem Motto „Wahlen ausstellen“ wurde hier die theoretische Auseinandersetzung mit einem praktischen Zugang verknüpft. Katja Gosdek, Museologin der Stiftung, führte fachkundig durch die Ausstellung und den historischen Ort. Anschließend stellte Dr. Andrea Hopp, Leiterin der Stiftungsstandorts, museale Vermittlungsoptionen im Kontext Otto von Bismarcks vor – unter anderem im Vergleich zu den US-amerikanischen Presidential Libraries und den anderen Politikergedenkstiftungen des Bundes. Anhand ausgewählter Ausstellungsobjekte – wie einem für Zeitgenossen als antiliberal und auch antisemitisch dechiffrierbaren Hundehalsband als Geschenk für Bismarck – zeigte sie exemplarisch auf, wie in der Phase der Fundamentalpolitisierung nach der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts Wahlen und ihre Ergebnisse vom Wahlkampf bis zum Mandat veranschaulicht werden können.

Allen Beteiligten aus Forschung und Bildung bot sich reichhaltiger Stoff für eine ausführliche Abschlussdiskussion, in der zentrale Erkenntnisse des Workshops – die lokalen Eigenheiten und überregionalen Trends, die Möglichkeiten der Darstellung von Wahlen in Ausstellungen sowie die Chancen, die sich aus dem Austausch von Bildung und Wissenschaft ergeben – gemeinsam reflektiert wurden.

Die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte (SODG) in Frankfurt am Main unterstützte die Veranstaltung finanziell. Das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) erkannte den Workshop zudem als offizielle Fortbildungsmaßnahme an.