Ein liberaler Vordenker des Pazifismus – Rückblick auf das Kolloquium zum 150. Geburtstag von Walther Schücking

Tagungsplakat unter Verwendung einer Lithografie von Emil Stumpp, 1924/ Deutsche Verhandlungsdelegation in Versailles 1919, rechts im hellen Mantel Walther Schücking (Bundesarchiv Bild 183-R11112 / Unknown / CC-BY-SA 3.0, o.r.) / Friedenspalast in Den Haag, Sitz des Ständigen Internationalen Gerichtshof, 1922 (Library of Congress / Bain News Service, u.r.)

Walther Schücking hatte nicht das Glück, das Ende des NS-Regimes zu erleben. Er starb 1935 in Den Haag, die Demokratie in der Bundesrepublik konnte er nicht mehr mitgestalten. Und so ist die Erinnerung an diesen Ausnahme-Juristen verblasst – anders als die an Thomas Mann, mit dem er sich den Geburtsjahrgang 1875 teilt. Der Einfluss des Schriftstellers auf die politische Kultur der Deutschen wurde anlässlich seines 150. Geburtstags am 6. Juni in Reden, unter anderem des Bundespräsidenten, und in diversen Zeitungsbeiträgen gewürdigt; zu Schücking selbst erschien wenig.

Mit diesem Hinweis auf die Folgen biografischer Zufälligkeiten eröffnete Dr. Ulf Morgenstern, Geschäftsführer unserer Stiftung, in der vergangenen Woche im Historischen Bahnhof Friedrichsruh das zweitägige Kolloquium „Völkerrecht, Pazifismus und liberale Politik zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus“. Zusammen mit Prof. Dr. Ewald Grothe, Leiter des Archivs der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, und Prof. Dr. Miloš Vec, Lehrstuhl für Europäische Rechtsgeschichte an der Universität Wien, hatte er es organisiert, um das Wirken Schückings in Erinnerung zu rufen und danach zu fragen, welche Spuren seine Ideen im Völkerrecht hinterlassen haben.

Prof. Dr. Ewald Grothe, Prof. Dr. Miloš Vec und Dr. Ulf Morgenstern (v.l.) haben das Kolloquium organisiert.

Prof. Dr. Ewald Grothe stellte in seinem Kurzvortrag die Biografie Schückings vor, der 1930 als erster und einziger Deutscher Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag wurde. Zuvor hatte er sich als liberal gesinnter Professor vor allem während seiner Jahre in Marburg (1902 bis 1920) als Verfechter eines Pazifismus profiliert, der keinesfalls mit Wehrlosigkeit und einem völligen Gewaltverzicht gleichzusetzen sei, wie Prof. Dr. Anne Nagel, Universität Gießen, aufzeigte. In einem kursorischen Überblick stellte Dr. Raphaël Cahen, Universität Gießen, die ideengeschichtliche Entwicklung des Pazifismus in Deutschland vor, ebenso weitere wichtige Protagonisten – darunter Bertha von Suttner – sowie die Bedeutung der Friedenskongresse. Damit wurde der historische Kontext deutlich, in dem sich Schücking bewegte.

Auch unser wissenschaftliches Team nahm am Kolloquium teil: Luisa Götz, Prof. Dr. Sabine Mangold-Will, die eine Sektion moderierte, und Dr. Daniel Stienen (v.l.).

An einem Beispiel aus der Zeit des Kaiserreichs illustrierte Dr. Daniel Stienen, Otto-von-Bismarck-Stiftung, Schückings überzeugte liberale Grundhaltung. Diese prägte nicht nur seine Ideen darüber, wie das Völkerrecht zu modernisieren sei, sondern auch seine Ansichten zur Innenpolitik. So lehnte der Jurist die repressive Polenpolitik Preußens ab. Die gewählten Mittel – vor allem die Unterdrückung der Sprache und Enteignungen – waren aus Schückings Sicht unmoralisch und mit Blick auf die beabsichtigte Assimilation ohnehin kontraproduktiv.

Prof. Dr. Anne Nagel zeigte in ihrem Vortrag die enge Verbindung zwischen dem Juristen Walther Schücking und dem ebenfalls pazifistisch gesinnten Theologen Martin Rade auf.

Zu einem prägenden Ereignis wurden dann die Verhandlungen des Versailler Vertrags 1919, die Schücking als Teil der deutschen Delegation praktisch nur beobachten konnte. Der Inhalt des Vertrags enttäuschte ihn zutiefst, wie Dr. Gerd Hankel, Hamburger Institut für Sozialforschung, erklärte. Denn die Aussicht auf ein Selbstbestimmungsrecht der Völker, wie US-Präsident Woodrow Wilson es in seinem 14-Punkte-Programm 1918 postuliert hatte, erfüllte sich nicht. Auch die Völkerbund-Satzung kritisierte Schücking, da der Gedanke zur Kooperation zu wenig betont worden und der Krieg ein Rechtsmittel geblieben sei.

Schücking, der sich längst einen Ruf als „enfant terrible der deutschen Rechtswissenschaften“ (Nagel) erworben hatte, arbeitete trotz oder gerade wegen des Versailler Vertrags weiter an der Ausformulierung eines modernen Völkerrechts. Dr. Hendrik Simon, Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, stellte dieses Streben vor einen größeren ideengeschichtlichen und historischen Horizont. Als Ausgangspunkt nannte er Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795). Der „ewige Frieden“ sollte nach Schückings Auffassung keine rein philosophische Idee bleiben. Zwar habe der Krieg immer schon einer Rechtfertigung bedurft, sich aber auch im 19. Jahrhundert kein vertragsrechtliches Kriegsverbot herausgebildet. Der liberale Völkerrechtler Schücking habe daher den politisch und normativ prekären Frieden der Großmächte durch einen organisierten Frieden ersetzen wollen. Geeignete Mittel zur Konfliktbeilegung waren seiner Meinung nach internationale Schiedsverfahren – diese spielten in den Debatten der deutschen Rechtswissenschaft noch in der Weimarer Zeit allerdings kaum eine Rolle. Prof. Dr. Felix Lange, Universität zu Köln, demonstrierte beispielhaft an einigen Gutachten und Urteilen, wie Schücking seine Überzeugungen als Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag bis zu seinem Tod 1935 ausbuchstabierte.

Zentrale Ideen Schückings gelten heute als Allgemeingut, wie Prof. Dr. Marcus Payk, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, am Ende der öffentlichen Podiumsdiskussion am Donnerstagabend feststellte: Der pazifistische Grundgedanke prägt das moderne Völkerrecht und die Vertragswerke der internationalen Institutionen.

Norbert Brackmann (l.), Vorstandsvorsitzender unserer Stiftung, Dr. Ulf Morgenstern und Björn Warmer, Bürgermeister der Stadt Reinbek (r.), begrüßten im Schloss Reinbek die Gäste der abendlichen Podiumsdiskussion.

Ein zeitgenössischer Artikel Walther Schückings in der Zeitschrift „Friedens-Warte“ war Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion, die Prof. Dr. Felix Lange, Prof Dr. Miloš Vec und Prof. Dr. Marcus Payk bestritten.

Prof. Dr. Ewald Grothe (l.), Tanja Steffens und Dr. Marec Béla Steffens spielten zu Beginn der Abendveranstaltung die launige Theaterszene „Nobelpreis für Schücking?“.

Wir dokumentieren die Podiumsdiskussion „Was bedeutet Pazifismus“ demnächst auf unserem YouTube-Kanal.