Nationalsozialismus, Kriegsende, Neuorientierung – eine Podiumsdiskussion 80 Jahre nach Kriegsende

Auf dem Podium: Dr. Sebastian Rojek, Moderatorin Prof. Dr. Sabine Mangold-Will und Prof. Dr. Michael Epkenhans (v.l.)
Es sind drei Stationen im Leben aller Deutschen, die das Jahr 1945 erlebt haben: Nationalsozialismus, Kriegsende und Neuorientierung. Welche Erzählungen über diese Zeit haben sich in der Öffentlichkeit und in den Familien durchgesetzt? Was wurde nicht erzählt, um möglichst einer Verantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes auszuweichen? Wir haben am 8. Mai 2025 mit Prof. Dr. Michael Epkenhans, Gründungsgeschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung, und Dr. Sebastian Rojek, Universität Stuttgart, zwei Historiker zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, um über diese Fragen zu sprechen.
Prof. Dr. Epkenhans berichtete als „methodisch geschulter Zeitzeuge“, wie unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Prof. Dr. Sabine Mangold-Will ihn in ihrer Moderation vorstellte. Im Mittelpunkt standen die Kriegs- und Nachkriegserlebnisse seiner Mutter, die 1945 als 17-Jährige aus Schlesien flüchtete. Ihre Erfahrungen sowie die anderer Familienangehöriger hätten seine Kindheit und die seiner Geschwister geprägt. Sein Großvater habe noch bis Mitte der 1950er-Jahre auf eine Rückkehr in die alte Heimat gehofft. Deutlich wurde allerdings auch, wie stur viele Westdeutsche die Vertriebenen ablehnten, selbst nach Eheschließungen in der eigenen Verwandtschaft.
Dr. Rojek zeigte auf der Basis seiner Auswertung von Entnazifizierungsverfahren auf, wie sich unmittelbar nach dem Ende der NS-Diktatur die politische Selbstverortung der Bürgerinnen und Bürger änderte: In den westlichen Besatzungszonen hatten alle einen Fragebogen auszufüllen, was oftmals genutzt worden sei, um die eigene Hinwendung zur Demokratie auszuformulieren. Er stellte die These zur Diskussion, dass die damit oftmals einhergehende Verharmlosung der eigenen Rolle sowie auch das allgemeine Beschweigen der NS-Zeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit es den Menschen überhaupt erst mental ermöglichten, den Systemwandel nachzuvollziehen.
Die Entnazifizierungsverfahren und familiären Erzählungen wurden im Gesprächsverlauf von der weiteren Entwicklung in der Bundesrepublik abgegrenzt. Prof. Dr. Epkenhans betonte, dass nur die erhaltenen Dokumente der Behörden aus den Jahren 1933 bis 1945 verlässlich in ihrer Aussage über Täterschaften seien. Dr. Rojek erläuterte zudem sein Verständnis der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Jahr 1985: Der 8. Mai 1945 sei zwar zunächst für die meisten Deutschen ein Tag der Niederlage gewesen, befreit worden seien vor allem die KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und andere Verfolgte. Aber 40 Jahre nach Kriegsende und fast ebenso langer grundsätzlich guter Erfahrung mit der Demokratie habe der damalige Bundespräsident allen Deutschen angeboten, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zu verstehen.
Literatur:
Michael Epkenhans / John Zimmermann
Die Wehrmacht – Krieg und Verbrechen
Stuttgart 2019
Sebastian Rojek
Entnazifizierung und Erzählung
Geschichten der Abkehr vom Nationalsozialismus und vom Ankommen in der Demokratie
Stuttgart 2023
Video
Eine Veranstaltung in der Reihe „80 Jahre Kriegsende – Frieden“ der Otto-von-Bismarck-Stiftung
in Kooperation mit der Gemeinde und der Kirchengemeinde Aumühle,
dem Augustinum und dem Kulturwissenschaftler Nikolaj Müller-Wusterwitz.