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Wiederholt haben wir das Thema der historischen Denkmäler behandelt.

Auch und gerade im Falle Bismarcks drängen sich die Ambivalenzen der einstigen unkritischen Verehrung auf, die so gar nicht zu unseren postheroisch-pluralistischen Bewusstseinsständen passt. Statt Abriss plädieren wir hier traditionell für ein historisches sachliches „Einhegen“.

In der heutigen Ausgabe der „ZEIT“ vertritt aus aktuellem Anlass auch Josef Joffe diese Ansicht. Ein bemerkenswerter Artikel!

238 Bismarcktürme wurden zu Hochzeiten des Kults um den Reichskanzler errichtet. Einer von ihnen steht in Weißenfels. So weit, so unspektakulär.

Schaut man aber genauer hin, kann man etwas Außerordentliches entdecken, das es sonst nur (noch) an ganz wenigen Turmstandorten gibt: Ein ungewöhnlich hohes Maß an bürgerschaftlichem Engagement.

Denn dass der Turm und seine Außenanlagen sich heute behutsam renoviert und insgesamt sehr gediegen präsentieren, liegt am Enthusiasmus und dem Ärmelhochkrempeln von einer Schar von Weißenfelser Bürgern. Zwischen 2006 und 2015 haben sie den heruntergekommenen Turm in Schuss gebracht.

Handwerker und Planer erbrachten ihre Leistungen ohne Rechnung, zehntausende Helferstunden wurden unentgeltlich erbracht und am Ende stand ein picobello restauriertes Baudenkmal.

Als der MDR im Jahr 2015 darüber berichtete, lernten sich Weissenfelser Bismarckturm Verein und Bismarck-Stiftung kennen. Knapp zwei Jahre später war eine Gruppe aus Weißenfels zu Besuch in Friedrichsruh, von wo aus der zum Bau von Türmen führende Bismarck-Mythos einst seinen Ausgang genommen hatte.

Wir danken für den Besuch und weisen gern auf den Weissenfelser Turm und den dortigen Verein hin. Unser Tipp: Melden Sie sich an, fahren Sie nach Weißenfels und besuchen Sie ein Stück kaiserzeitlicher Geschichte und ein Stück zeitgeschichtlichen Bürgersinns!

www.bismarckturm-weissenfels.de

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Donnerstag, den 30. März 2017 um 09:55 Uhr

… macht man heutzutage am Besten mit einer Drohne.

Beeindruckende Aufnahmen finden sich hier. Vielen Dank an die dahinter stehende Firma.

Die Abbildung aus unseren eigenen Beständen ist freilich etwas älter, sie stammt aus dem Jahr 1958, als die Welt noch schwarz/weiß war und alles gemütlich und langsam vonstatten ging. Immerhin fuhren aber die Autos schon zu schnell für kurze Belichtungszeiten – zumindest die teuren Isabellas aus dem Hause Borgward.

Da reiben sich die Bismarck-Forscher die Augen und die politischen Beobachter der Szenerie könnten den Erfolg eines AfD-Antrags vermuten: Im Sachsenwald gibt es seit einigen Wochen eine neue Bismarck-Straße.

Zumindest wenn man einem touristischen Wegweiser an der Abzweigung Alte Schulstraße (L 324) nach Friedrichsruh (L 208) Glauben schenkt.

Auf einem braunen Hinweisschild wird der geneigte Reisende nach Norden geschickt, wo ihn (ohne Distanzangabe, also in nächster Nähe) das bekannte Bismarck-Museum und eine Bismarckstraße erwarten. Vermeintlich.

Denn tatsächlich handelt es sich um einen Klassiker unter den Schildbürgerstreichen, um einen Verschreiber. Nachdem 2016 bei einem Unfall das alte Schild samt Leitplanke umgelegt worden war, wurde die teure Wegweisung neu in Auftrag gegeben und schließlich an Ort und Stelle aufgebaut.

Wochenlang fuhren dann die Berufspendler und die Einheimischen an den verzinkten Schildern vorbei, ohne die Details zu lesen, die man ja ohnehin unterbewusst kennt. Und so merkt man dann eben nicht, dass statt „-Stiftung“ „-Straße“ an Bismarck angehängt ist.

Bis ein aufmerksamer Haustechniker genau hinsieht und die neuerliche Herstellung eines Schildes notwendig macht.

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Donnerstag, den 17. November 2016 um 10:33 Uhr

Gern verlinken wir auf einen lesenswerten Jubiläumsartikel aus Anlass des 150jährigen Bestehens einer Qualitätszeitung aus Frankfurt am Main.

Ob da nun zwischen 1866 und 1890 gelegentlich scharf gegen den preußischen Ministerpräsidenten geschossen wurde oder nicht: Vergeben, vergessen und vorbei!

Die Journalisten aus der Mainmetropole mit den präzisen Informationen aus Berlin werden schon ihre Gründe gehabt haben, den Mann, der in den 1850er Jahren als Gesandter in Frankfurt lebte und dort 1871 mit Frankreich einen – gelinde gesagt – straffen Friedensvertrag schloss, zu kritisieren.

Ihre Nachfolger in der Redaktion konnten das 1899 im Frankfurter Stadtteil Höchst aufgestellte Bismarck-Denkmal zwar noch ignorieren, d.h. „umgehen“. Am 1908 vor dem Schauspielhaus aufgestellten, zentralen Frankfurter Bismarck-Denkmal mussten aber auch sie gelegentlich vorbei. (Diese und andere Bismarck-Ehrungen im öffentlichen Raum verzeichnet BISMARCKIERUNG.de)

Aber zurück zum Leitmedium vom Main: Herzlichen Glückwunsch und – wie man im 19. Jahrhundert lateinernd hinzufügte – Ad multos annos!

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Freitag, den 11. November 2016 um 12:24 Uhr

Seit einigen Jahren schießen überall in Deutschland kleine Brauereien aus dem Boden. Ihre Craft-Biere sind „handwerklich“ hergestellt, aber beileibe nicht nur für Handwerker gedacht. Das erkennt der Kunde in der Regel sofort an zwei Indikatoren: Am Preis und an den ausgefallenen Geschmackskompositionen. Für eine Flasche India Pale Ale aus Ingolstadt oder Itzehoe kann man problemlos 4 Euro bezahlen, um anschließend wie ein Weinkenner über Getränk zu fachsimpeln.

Man muss diese Auswüchse nicht bis ins Letzte ernstnehmen. Zu begrüßen ist jedoch, dass mehr Vielfalt in einen sonst immer heterogener werdenden Markt weniger Industriebier-Multis kommt.

Eine neue Sorte Bier gibt es seit wenigen Wochen auch in Neustadt an der Orla, gebraut wird unweit in der Nähe von Schleiz. Hinter dem Projekt stehen keine Hipster aus Großstadthinterhöfen, sondern der Bismarckturmverein in Neustadt an der Orla. Das Gebräu trägt daher auch keinen an die Exotik des Britischen Empires erinnernden Namen: es heißt schlicht „Turmbräu“.

Die kernige Euro-Flasche, früher weit verbreitet und heute noch in Bayern und Franken oft in Gebrauch, ist mit einem Etikett beklebt, das den namensgebenden Turm zeigt. Man muss also „Bismarck“ gar nicht explizit erwähnen, er ist auch indirekt präsent.

Ausgeschenkt wurde das neue Bier zum ersten Mal am 3. Oktober 2016. Und nach allgemeinem Bekunden scheint es das zahlreich erschienene Publikum am Tag der deutschen Einheit goutiert zu haben.

493 Kilometer von Friedrichsruh nach Neustadt an der Orla sind etwas zu weit für einen spontanen Bierkauf für das Wochenende. Beim nächsten Besuch in Ostthüringen wird aber eine Verkostung fest eingeplant!

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Montag, den 18. Juli 2016 um 10:23 Uhr

Es gibt sie noch, die guten alten Konditoreien aus der Zeit vor Donoughts und Bagles. Eine davon befindet sich in der Hellbrookstraße 61 in Hamburg Barmbek. Der Laden ist eine Institution, die mit der Zeit geht. Davon zeugt der gepflegte Online-Shop.

Wer allerdings nur dort einkauft, verpasst einen Sprung in die politische Kulturgeschichte. Im Ladengeschäft gibt es nämlich eine Wand mit gebackenen Miniaturen aus der Hamburger Geschichte. Und zu denen gehören neben dem Michel und dem Rathaus auch der auf das „Hummel, Hummel“ der Straßenkinder „Mors, Mors!“ [1] anwortende Wasserträger und – na? – klar: Bismarck! Der Kanzler im Profil, eingrahmt von Allegorien aus der Tier- und Pflanzenwelt, eine kulinarische Profanisierung des Heldenkults von ehedem.

Ob 2016 noch jeder, der zwischen Brötchen und Baiser den Blick schweifen lässt, den einstmal ikonischen Glatzkopf erkennt, ist natürlich eine andere Frage. Funktioniert hat die Assoziation bei Frank Fischer, dem herzlich für diese Zuschrift zu danken ist.

[1] Joachim W. Franck, Hummel, in: Franklin Kopitzsch/Dirk Brietzke (Hrsg.), Hamburgische Biografie Bd. 3, Göttingen 2006, S. 176f

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Dienstag, den 21. Juni 2016 um 10:13 Uhr

In Hamburg kommt man an Bismarck nicht vorbei. Und zwar im buchstäblichen Sinne: Das auf dem Höhepunkt des Kults um den Reichsgründer errichtete Denkmal ist das größte seiner Art. Als Rolandsfigur überragt es den Alten Elbpark und gehört seit mehr als 100 Jahren zu den Wahrzeichen der Hansestadt. Wer vom Michel zum Kiez oder von den Landungsbrücken zum Heiliggeistfeld läuft, passiert den steinernen Koloss und fragt sich vielleicht, wie das Zeugnis politischer Heldenverehrung in unsere postheroische Gegenwart passen kann. Eine Antwort lautet: In dem man sich an die Entstehungszeit und ihre Mentalitäten erinnert, ohne sie zu verklären, und ansonsten das tut, was im Leben immer hilft: Die Dinge mit Ironie nehmen!

Da tun die Hamburger mit dem Denkmal schon lange. Zuletzt setzten ihm Künstler Hörner auf und stellten ein alpines Tier auf den kahlen Kopf Bismarcks. Nun hat die Hamburger Hip Hop-Band Beginner in ihrem vielbeachteten neuen Video „Ahnma“ ein lokalpatriotisches Stadtpanorama ausgerollt. Und darin darf neben dem Hafen, dem Michel, dem Elbtunnel, dem leibhaftigen Uwe Seeler und anderen Hamburger Indentitäts-Ingredienzien natürlich auch das Bismarckdenkmal nicht fehlen.

Wem aus welchen Gründen auch immer Musikstil, Vortragsart oder der leicht flegelhafte Habitus von Jan Delay et al. nicht gefallen, der kann natürlich auch im Video springen (Min. 0:11-0:14; 1:56-1:58 und am schönsten 3:57-4:00).

Anschauen sollte man es sich aber eigentlich doch: als ein eigentümliches Beispiel post-postmoderner Rezeption der einstigen Bismarck-Rezeption; eingebettet in den Flow einer subkulturell-ironischen Stadtlandschaft in schwarz-weiß (Formulierungsreminiszenz an frühere Spex- und Rolling Stone-Schwurbeleien).

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Montag, den 20. Juni 2016 um 12:05 Uhr

Auch wenn die Urlaubspläne längst festgezurrt und die Hotels gebucht sind, träumen Sie sich doch mal ins hinterste Amerika. Die Welt empfiehlt dafür in einem launigen Artikel den gnadenlos unterschätzten Bundesstaat North Dakota; bekannt wegen der gnadenlos dämlichen Gangster aus dem Klassikerfilm der Coen-Brüder „Fargo“. Aber North Dakota ist noch viel mehr. Warum dessen Hauptstadt Bismarck heißt und wie gemütlich es dort zu geht, lesen Sie hier.

Geschrieben von Dr. Ulf Morgenstern am Dienstag, den 07. Juni 2016 um 08:11 Uhr

Da die kleinstaatlichen Thüringer einen Narren am Reichsgründer gefressen hatten, überzieht ein Netz von Ehrungen den öffentlichen Raum zwischen Eisenach und Ronneburg. Im ostthüringischen Gera wurde neben einer Bismarck-Säule auch ein Bismarckstein errichtet, der noch heute im Stadtwald steht.

Das Verblassen des Bismarck-Mythos unter den besonderen Bedingungen des Staatssozialismus hat dem Objekt erwartungsgemäß zugesetzt. Um so erfreulicher ist, dass nun an das Zeugnis einer längst vergangenen Geschichtspolitik erinnert wird – und zwar auf historisch-kritische Art und Weise, wie wir es uns nicht besser wünschen könnten.

Einen kurzen Zwischenstand der Schulprojektes des Karl-Theodor-Liebe-Gymnasiums finden Sie hier.

Spenden für die Restauration und die erklärende, nicht verklärende Infotafel sind willkommen.