Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 (V): „Der französische General Reille kommt mit der Parlamentärflagge in das preußische Lager, geleitet von einem preußischen Offizier (1. September 1870)“

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Kolorierte Lithografie, Deutschland, um 1871 – Material: Papier – Herkunft: Otto-von-Bismarck-Stiftung Friedrichsruh, Inventar-Nr.: L 1999/127

Nach dem Sieg der deutschen Truppen in der größten Schlacht dieses Krieges bei Gravelotte am 18. August 1870 zogen sich starke französische Verbände in die Festung Metz zurück. Zwei französische Armeen scheiterten nahe der Grenze zu Belgien mit dem Versuch, die Eingeschlossenen zu entsetzen. Der 3. und der 4. deutschen Armee gelang es in der Folge, rund 130.000 auf Metz vorrückende französische Soldaten bei Sedan einzukesseln. Was die Deutschen noch nicht wussten: Unter den Eingeschlossenen befand sich auch Kaiser Napoleon III. Die Schlacht von Sedan am 1./2. September 1870 endete schließlich mit einer vollständigen Niederlage der Franzosen.

Der hier gezeigte kolorierte Druck entstammt einer Bildermappe der Verlage Gustav Weise (Stuttgart) und Paul Bette (Berlin) mit dem Titel „Der Krieg in Bildern“. Er zeigt eine Szene aus der letzten Phase der Schlacht um die Festung Sedan am 1. September 1870, und zwar den Ritt des französischen Parlamentärs General Graf André Charles Victor Reille (1815 – 1887) auf dem Weg zu König Wilhelm I. von Preußen, um ihm einen Brief Napoleons III. zu übergeben. Reille war seit 1860 Generaladjutant des Kaisers und ist in französischer Offiziersuniform mit dem dazu gehörigen goldumrandeten Käppi dargestellt. Er trägt in seiner Rechten eine Lanze, an deren Ende eine weiße Fahne, das Zeichen des Parlamentärs, gebunden ist. Neben dem Rappen des französischen Generals reitet ein Kavallerist auf einem Schimmel, der sich durch Uniform und Tschapka, die typische Kopfbedeckung der Ulanen, als preußischer Lanzenreiter identifizieren lässt. Er scheint den gegnerischen General in das preußische Lager zu geleiten.

Im Vorfeld dieser Szene war es nach einer letzten vergeblichen Offensivbemühung der Franzosen zur finalen Beschießung der Festung Sedan gekommen, um die Kapitulation der Verteidiger zu beschleunigen. Nachdem er von den Preußen zur Übergabe der Festung aufgefordert worden war, hatte Napoleon III. erklärt, dass er nicht der Oberkommandierende sei, folglich auch nicht über die Kapitulation der Armee beschließen könne; er versprach, seinen Generaladjutanten mit einem Brief für König Wilhelm zu entsenden. Reille begab sich daraufhin gegen 19 Uhr zum Standort des Königs, der von einem Höhenzug die Beschießung überwacht hatte.

Während die Lithografie den Ritt des Generaladjutanten mit der Parlamentärflagge in der beschriebenen Weise zeigt, wird dieses Ereignis in anderen bildlichen und textlichen Quellen abweichend dargestellt. Auf den 1884 entstandenen Gemälden von Anton von Werner und Carl Steffeck über die Briefübergabe Reilles an Wilhelm I. sieht der Betrachter im Hintergrund einen preußischen Ulanen mit einer Parlamentärflagge sowie einen dritten Reiter. Ihre Darstellungen decken sich mit den Berichten Theodor Fontanes, der ebenfalls einen dritten Reiter beschreibt. Historisch verbürgt ist, dass Reille wenige Schritte vor Wilhelm absattelte und ihm mit einer Verbeugung die Botschaft seines Herrn übergab. Darin bot Napoleon III. dem preußischen Monarchen seinen Degen an, weil es ihm nicht vergönnt gewesen sei, inmitten seiner Truppen den Tod zu finden. Da der Kaiser mit diesem Schreiben nur für seine Person gesprochen hatte, begannen noch in der Nacht die offiziellen Kapitulationsverhandlungen für die eingeschlossene französische Armee.


Bisher erschienen:

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 (I): „Der Preussische Staat, die Staaten des Norddeutschen Bundes und die übrigen Zollvereinsstaaten“

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 (II): „Napoleon III, Emperor of the French.”

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 (III): „Isabella II., Königin von Spanien” 

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 (IV): „Extrablatt der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung) vom 15. Juli 1870”